Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
Eindringling allein ließ. In ihrem Herzen wusste sie, dass es die einzige Chance für sie war, nicht verrückt zu werden. Selbst wenn Sebastian und sie sich im weitläufigen Gebäude aus dem Weg gegangen wären, sie hätte seine Gegenwart überall gerochen . Es war besser, von seiner Mutter eine kurze Weile vernachlässigt zu werden, als der Hinrichtung der Mutter beizuwohnen, weil diese einen in ihrem Haus logierenden Gast mit einem Beil erschlagen hatte.
Sie wandte sich ab, um den langen Rückweg anzutreten. Ein paar der anderen Wartenden nickten ihr zu. Sie nickte zurück, ohne dabei zu unterscheiden, ob derjenige, der sie grüßte, in Lumpen oder in Brokatgewändern steckte. Man kannte sich mittlerweile, und die Standesunterschiede hoben sich auf, wenn man wusste, dass die eigenen Angehörigen vielleicht nebeneinander in Ketten auf verschimmelndem Stroh lagen und in denselben Eimer ihre Notdurft verrichteten.
Ein unscheinbarer Mann drückte sich am Rand der Gruppe herum und eilte ein paar Schritte voraus, als sie sich aus ihr löste. Sie musterte ihn misstrauisch und versuchte, sich mit einem kurzen Gruß an ihm vorbeizudrängeln. Der Weg zur Stadt führte ein paar ausgetretene Treppen hinunter und beim Osttor hinaus aus der Burg. Plötzlich dachte sie daran, wie einsam die ersten paar hundert Schritte durch den vernachlässigten Schlossgarten waren.
»Sie sind doch Frau Khlesl, oder?«, fragte der Mann.
»Wer will das wissen?«
»Ich habe nur eine Botschaft für Sie. Ich will Ihnen nichts Böses.«
Agnes musterte ihn über die Schulter, ohne stehen zu bleiben. Hatte Sebastian ihn in den Dienst genommen, um sie zu überwachen und zu terrorisieren? Der Mann hatte schlechteZähne und abgestoßene Kleidung und sah aus wie jemand, der für Geld ziemlich viel zu tun bereit war.
»Bitte bleiben Sie doch stehen. Ich habe ein schlechtes Bein.«
Agnes biss die Zähne zusammen. Sie hielt an und wandte sich dem Mann zu.
»Nun?«
»Gehen Sie besser nicht nach Hause zurück«, sagte der Mann. Etwas huschte über sein Gesicht, das ein unglückliches Zucken sein konnte, das man aber auch als unterdrücktes Grinsen interpretieren konnte.
»Wie bitte?«, zischte Agnes.
»Wenn Sie klug sind, bleiben Sie von Ihrem Zuhause fern.«
Agnes trat einen Schritt auf ihn zu. Sie war größer als er. Der Mann riss die Augen auf.
»Hör zu, du kleine Ratte«, sagte sie, heiser vor Wut. »Wenn du deinen Auftraggeber das nächste Mal triffst, bestell ihm, dass er sich das Geld für dich sparen kann. Ich bin den ganzen Tag nirgendwo anders als hier oben, und nachts schlafe ich in meinem Bett in meinem Zimmer, und wenn er mir Angst machen will, soll er eine ganze Kompanie Söldner schicken statt so einer Entschuldigung von einem Mann, wie du es bist.« Sie wirbelte herum und ließ ihn stehen, dann überlegte sie es sich anders und sprang die paar Treppenstufen wieder hoch zu ihm. Er stand noch immer da wie vom Donner gerührt.
»Ach ja«, sagte sie mit einer Stimme, die Löcher in die steinernen Stufen hätte ätzen können, »ich vergaß. Ratten tun nichts gratis. Hier, ein wenig Geld dafür, dass du meine Botschaft ausrichtest.« Sie warf ihm die Münzen vor die Füße.
Sie war gerade bis zu der Stufe zurückgegangen, an der sie eben umgekehrt war, als sie ihn sagen hörte: »Ich bin hier, weil mein kleiner Bruder eingekerkert worden ist. Er ist Benediktiner aus der Abtei Brevnov, aber sein Abt hat ihn exemtiertund erwägt, ihn aus dem Orden auszustoßen. Dabei ist sein einziges Verbrechen, einer der Schreiber von Kardinal Khlesl gewesen zu sein.«
Agnes blieb stehen. Ihr wurde kalt und heiß zugleich.
»Ein junger Mann ist ganz außer Atem hier angekommen, als Sie drunten im Kerker waren. Er hat nach Ihnen gefragt. Ich kenne Ihr Gesicht durch meinen Bruder. Ich sagte, ich würde Ihnen ausrichten, was er mir für Sie mitzugeben wünsche.«
Agnes drehte sich um und stieg erneut zu ihm empor. Ihr Gesicht brannte.
»O mein Gott, es tut mir so leid«, sagte sie. Ihre Blicke fielen auf die glänzenden Münzen zu seinen Füßen. »O mein Gott.«
Er lächelte verzerrt. »Schon gut«, sagte er.
»Auch ich habe meinen Bruder hier im Kerker sitzen. Genauso wie Sie.«
Der Mann hob die Schultern und ließ sie fallen. Einen Moment lang dachte sie, er würde zu weinen beginnen. Es hätte die Peinlichkeit der Situation ins Unerträgliche gesteigert.
»Es tut mir so leid, was ich gesagt habe«, stieß sie hervor. »Ich dachte,
Weitere Kostenlose Bücher