Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
Vom Netzwerk:
hielt sie fest.
    »Sed et si ambulavero in valle mortis non timebo malum quoniam tu mecum es virga tua et baculus tuus ipsa consolabuntur me!«, brüllte er den Text aus dem dreiundzwanzigsten Psalm. »Und wenn ich auch wandere im finsteren Todestal …«
    Ein paar Stimmen schlossen sich zögernd an.
    »Pones coram me mensam ex adverso hostium meorum …«
    Die Tore bebten. Die Stimmen wankten, aber sie verstummten nicht.
    Das ist es, dachte Abt Wolfgang. Das ist die Kraft der katholischen Kirche. Das ist die Quintessenz des Glaubens.
    Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde.
    Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, mein Becher fließt über .
    »Wolfgang Selender, du wirst in der Hölle brennen!«
    Er vermeinte, aufs Neue das drängende Flüstern zu hören über all dem Geschrei, aber die Strophen des Psalms ertränkten es.
    Nur Güte und Gnade werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Haus des Herrn immerdar .
    Die Mönche fanden sich langsam zu einem geschlossenen Choral zusammen. Abt Wolfgang starrte den Torhüter an, der wie vom Donner gerührt angesichts der Bedrohung dagestanden hatte, und dieser ergriff wie in Trance die Hand des nächststehenden Bruders und fiel in den Gesang mit ein. Immer mehr Mönche nahmen sich an den Händen. Der Cellerar, der Novizenmeister, der Prior … Es konnte kaum mehr einen Bruder geben, der sich nicht dem lebenden Wall hinter dem Tor angeschlossen hatte. In all seiner Wut fühlte Wolfgang, wie sich eine beinahe heilige Zuversicht in ihm ausbreitete. So war es auf Iona gewesen, als im Herbst plötzlich die Sturmflut gekommen war und die fünf ältesten Brüder im Dormitorium ertrunken wären, wenn nicht alle anderen eine Menschenkette gebildet und sie in das Obergeschoss des Turms gezerrt hätten, die Gefahr für das eigene Leben nicht achtend.
    »Ein Psalm Davids!«, brüllte Wolfgang, und die Brüder wiederholten den Psalm von vorne.
    Das war der Glanz der katholischen Kirche, das war der Triumph des christlichen Glaubens – zusammenzustehen gegen jede Bedrohung von außen, auch wenn es einem das Märtyrertum abverlangte.
    »Gib uns, was uns zusteht!«
    »Verschwindet aus der Stadt, ihr Papsthuren!«
    Eines der Torscharniere sprang plötzlich aus seiner Verankerung, Putzbrocken und Steine stoben davon. Der Torflügel wölbte sich. Der Torhüter verschluckte sich vor Angst.
    Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln.
    Er weidet mich auf grünen Auen und führt mich zu stillen Wassern.
    Er erquickt meine Seele; er führt mich auf rechter Straße um seines Namens willen .
    Die Torflügel kamen zur Ruhe. Das Geschrei draußen verstummte plötzlich. In die Stille hallte der Choral wie die Stimmen der Engel selbst und echote von der klippenhohen Wand des Klosterbaus wider. Abt Wolfgang sang weiter. Die Stimmen folgten ihm, bis der Psalm ein zweites Mal zum Ende gekommen war. Dann senkte sich Schweigen über den Klostervorhof. Ein letzter Putzbrocken löste sich von dem aus der Mauer geplatzten Eisenband und fiel zu Boden. Die Mönche wechselten unsichere Blicke. Abt Wolfgang schritt auf fühllosen Beinen zum Tor. Er packte den Riegel mit beiden Händen. Der Torhüter gab ein Geräusch von sich. Wolfgang hob den Riegel aus der Verankerung und ließ ihn dröhnend auf den Boden fallen; die Mönche zuckten zusammen. Mit der Faust stieß er die Torflügel auf. Sie schwangen nach außen. In der Gasse, die zum Stadtplatz führte, lagen zertretenes Gemüse und Steine; die Wurfgeschosse waren niemals zum Einsatz gekommen. Die Gasse war leer, die Gassenmündung zum Marktplatz lag hell und sonnig da.
    Wolfgang drehte sich um. Er empfand es als eine der schwierigsten Aufgaben seines ganzen Lebens, in dieser Situation nicht in Triumphgeheul auszubrechen.
    »Amen«, sagte er ruhig.
    Die Brüder bekreuzigten sich. Die ersten begannen zu lächeln.
    In Wolfgangs Ohren sang es.
    Dann sah er den Mönch mit der schwarzen Kutte aus dem Eingang des Hauptbaus taumeln. Blut lief ihm über das Gesicht.
    5
    Der Traum war so real gewesen, dass Agnes mit offenen Augen und schwer atmend in der Dunkelheit lag, wie gelähmt vor Entsetzen. Eigentlich war er eher eine Art lebhafter Erinnerung gewesen, denn die einem Traum eigenen surrealen Dinge und Ungereimtheiten fehlten vollkommen. Voller Angst hielt Agnes sich daran fest, dass die Dinge sich in Wahrheit ganz anders abgespielt hatten. Oder nicht? Was war in diesen Minuten zwischen Schlafen und Wachen die Wirklichkeit?

Weitere Kostenlose Bücher