Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
keine Mühe, das Schwanken zu spielen; in ihren Muskeln war Wasser.
»Meine Mutter und meine Großmutter«, sagte sie und tat so, als bereite das Sprechen ihr Mühe. »Die Pest hat sie geholt. Macht mit ihnen, was ihr wollt, sie spüren es nicht mehr.«
Die Augen der Soldaten wurden groß. Sie wechselten Blicke miteinander.
»Abgekratzt?«, fragte einer.
»Sollte es euch Vergnügen bereiten«, sagte Agnes und betonte sorgfältig, was sie für ihren Trumpf hielt, »zwei Tote zu schänden, dann nur zu. Wenn ein paar Pestbeulen dabei aufplatzen, was macht das schon?« Sie schwankte erneut …
… und hörte zu ihrem grenzenlosen Entsetzen Gelächter.
»Warum sollen wir die Toten vögeln, wenn wir dich haben, Süße?«
»Macht dir ja nix aus, du hast eh die Pest, oder?«
»Lass dich noch mal richtig rannehmen, bevor du die Kurve kratzt!«
»Ihr werdet euch anstecken …«, brachte Agnes heraus.
»Na und? Wir sind eh ein Fraß für die Krähen.«
Drei von ihnen schlenderten bereits auf Agnes zu, der Erste von ihnen mit der Hand in der Hose. Agnes sah, wie seine Faust sich bewegte. Sie wich zurück. Das Grinsen auf den Gesichtern verstärkte sich. Plötzlich erkannte sie, dass sie all die Geschichten von den verbrannten Männern und den aufgeschlitzten Schwangeren bis jetzt nicht wirklich geglaubt hatte … und sie wusste, dass sie genau das Falsche getan hatte. Vielleicht hätte es noch eine Möglichkeit gegeben zuentkommen! Stattdessen hatte sie sich den Männern ausgeliefert und sie auch noch auf die beiden Frauen im Innern des Hauses aufmerksam gemacht.
Ihr Entsetzen war unsäglich, als ihr dämmerte, was unwiderruflich geschehen würde. Sie wich einen weiteren Schritt zurück und spürte den Türstock im Rücken. Hier würde sie also ihren letzten Kampf liefern, in der Tür eines heruntergekommenen Hauses – denn es war keine Frage, dass sie die Türschwelle bis zum letzten Atemzug nicht freigeben würde. Inmitten aller Angst vor dem, was man ihr antun mochte, betete sie, dass Alexandra sich still verhielt und dass man sie vielleicht nicht … O Herr, bitte gib, dass diese Kerle sie nicht …
Der Landsknecht mit der hin- und herzuckenden Faust in der Hose nestelte mit der freien Hand an dem Strick, mit dem seine Beinkleider um die Hüften hingen. Er griente. »Lieber verrecke ich auf dir und an der Pest als allein an einem Strick!«
»Kann ich dir nachfühlen, Freundchen«, sagte eine neue Stimme.
Die Landsknechte drehten sich um. Agnes war, als könne sie mit ihren Augen sehen: Ein Mann stand allein in der Gasse. Er war bullig; seine runden Schultern und sein breiter Körperbau ließen ihn kleiner wirken, als er war. In einer Welt, in der die wohlhabenden Männer schwammige Weinbäckchen und spitze Bierbäuche pflegten, gehörte er zu den athletischen Typen. Man hätte ihn dennoch unterschätzen können, solange man seine Augen nicht sah. Wer sich aber auf ein Blickduell mit ihm einließ, wurde mit einer beinahe tödlichen Ruhe konfrontiert, die zum einen aus dem Wissen herrührte, dass der Besitzer dieser Augen immer noch einen Trick auf Lager hatte, sobald es ums Ganze ging, und zum anderen aus der Überzeugung, dass in einem Kampf immer der überlegen war, der für etwas kämpfte. Wer klug war, erkannte, dass dieser Mann stets für das Wohlergehen der Menschen zu kämpfen bereit war, die ihm nahestanden.
»Wer is’n der Arsch?«, brummte einer der Soldaten.
Agnes’ Herz machte einen Sprung. Der Mann war Cyprian.
»Es gibt zwei Möglichkeiten«, sagte Cyprian. »Wenn ihr euch für die Möglichkeit eins entscheidet, könnt ihr unter Zurücklassung eurer Waffen und nach Zahlung eines Schmerzensgeldes für die Herren hier auf dem Boden unbehelligt abziehen.«
»Und wenn wir uns für die andere entscheiden, Klugscheißer?«
»Dann werdet ihr euch wünschen, der Möglichkeit eins den Vorzug gegeben zu haben.«
Cyprian deutete auf die Fenster eines Hauses weiter vorn in der Gasse. Die Landsknechte folgten seinem Fingerzeig.
Agnes sah voller Horror, wie Cyprians Lächeln plötzlich erlosch. In dem Haus, auf das er gedeutet hatte, regte sich nichts.
»Nachhut nich’ eingetroffen, was?«, bemerkte einer der Landsknechte und gackerte.
Er hob seine Muskete. Agnes fing Cyprians Blick auf. Ihr Herz blieb stehen.
Der Soldat feuerte. Sie sah den Einschlag der Kugel in Cyprians Brust. Er wurde nach hinten gerissen …
… Agnes kreischte auf und stürzte zu der Stelle, an der Cyprian fiel,
Weitere Kostenlose Bücher