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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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wunden Punkt gefunden.«
    Filippo gab seiner Schwester einen Kuss auf die Stirn. »Warum arbeitest und kochst du für unseren verdammten großen Bruder?«, fragte er. »Du bist die Klügste von uns allen.«
    Vittoria betrachtete ihn liebevoll. »Ich habe zu oft zugesehen, wie Scipione sein Spiel mit dir gespielt hat«, sagte sie und strich ihm über die Wange. »Das Glaubensspiel. Weißt du noch?«
    »Ja«, sagte Filippo erstickt.
    »Eines Tages«, sagte sie, »finde ich den Mut und mische ein Pfund Rattengift in seinen Fraß. Nur aus diesem Grund koche und arbeite ich für ihn.«
    4
    Das Geräusch erinnerte Abt Wolfgang Selender an Iona. Wo er sich auch aufgehalten hatte – er hatte dem Auf- und Abschwellen des Lärms niemals entgehen können. Es hatte zum Leben auf der Insel dazugehört, so wie die Kälte, der Regen, die tief hängenden Wolken und die beständige schlechte Laune der schottischen Brüder. Das Geräusch hierklang ähnlich; es wurde lauter und leiser, hallte in den Gängen des Klosters wider, brach sich an Kanten, Mauerecken und Treppenstufen, wogte vor und zurück.
    In Iona war es die Brandung gewesen, die die Mönche in der stolzen Benediktinerabtei niemals allein gelassen hatte, mit der sie in den Schlaf gesunken und wieder aufgewacht waren.
    Hier, in Braunau, war allen außer Abt Wolfgang das Geräusch der Brandung unbekannt, und auch Wolfgang wusste, dass es nur das An- und Abschwellen war, das ihn an das kalte, einsame, ganz und gar in Gott und seine Schöpfung versunkene Jahr auf der schottischen Insel erinnerte.
    Das Geräusch selbst hatte mit dem geduldigen Schlag der Wellen nicht das Geringste zu tun. In Wahrheit war es das rhythmische Grölen einer hasserfüllten Menge, durch die Klostermauern auf ein Rauschen reduziert.
    Er hasste die Meute. Er hasste sie dafür, dass sie die Frechheit besaß, vor seiner Klosterpforte zu lärmen, er hasste sie dafür, dass sie sich frei genug fühlte, ihn – den Abt von Braunau, den Herrn der Stadt! – zu bedrohen. Er hasste sie für ihren protestantischen Irrglauben und dafür, dass sie all seinen Maßnahmen zu ihrer Einschüchterung und all seinen Lockungen zum Abfall vom Ketzertum widerstand. Am meisten hasste er sie dafür, dass sie seine Erinnerung an Iona beschmutzte.
    Abt Wolfgang hörte, wie sich die Tür zu der kleinen Zelle öffnete, in der er tagsüber zu sitzen pflegte, um Anfragen der Mönche zu beantworten oder Probleme zu lösen. Er drehte sich nicht um.
    »Es werden immer mehr, ehrwürdiger Vater«, sagte eine zittrige Stimme.
    Er nickte. Sein Blick wich nicht von der Inschrift an der Wand. Er hatte sie dort stehen lassen, als Mahnung für sich selbst und als Hinweis darauf, was geschehen konnte, wenn man aufhörte, der Kraft Gottes zu vertrauen.
    »Was sollen wir tun, ehrwürdiger Vater? Wenn sie anfangen, gegen das Tor zu rennen … Du weißt doch, dass es nicht viel aushält …«
    Natürlich wusste er, dass das Tor es nicht einmal wert war, so genannt zu werden. Als er hier auf Befehl des Kaisers und auf Vermittlung eines guten Freundes in höchsten Kirchenkreisen angekommen und das durch den Tod Abt Martins, seines Vorgängers, verwaiste Amt übernommen hatte, hatte es kein Tor gegeben. Die Klosterpforte hatte ausgesehen, als sei ein Sturmangriff über sie hinweggegangen. Später, als er begriff, welch düsteren Schatz sein Kloster hütete, erfuhr er auch, dass es tatsächlich so gewesen war. Abt Martin hatte nichts mehr reparieren lassen; die Klosterdisziplin war vor die Hunde gegangen. Nicht anders als auf Iona, hatte Wolfgang gedacht. Die üppige Kulturlandschaft und das sich langsam von der letzten Pestwelle erholende Braunau waren zwar vollkommen anders als die schottische Insel in ihrer kargen, maritimen Klarheit, aber ansonsten gab es kaum einen Unterschied: Er, Wolfgang Selender von Proschowitz, war an einen Ort gerufen worden, an dem Gott und die benediktinischen Regeln eine entschlossene Hand benötigten, die wieder Ordnung schaffte. Dass er, der seit Jahrzehnten dieser Berufung folgte, von Herzen gern auf Iona geblieben wäre, wo das Meer den simplen, alles durchdringenden Rhythmus des Glaubens vorgab, durfte keine Rolle spielen. Er hatte die Aufgabe angenommen, in fester Zuversicht, sie in einem oder zwei Jahren vollendet zu haben. Nachdem er erkannt hatte, was hier in Braunau wirklich im Argen lag, hatte er sich fünf Jahre gegeben und die Gegenreformation in der Stadt in seine Zeitberechnung mit

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