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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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aufgenommen.
    Mittlerweile waren bereits zehn Jahre vergangen, und alles, was er geschafft hatte, war, die neuen Torflügel an der Klosterpforte anbringen zu lassen. Sie jedoch so einzumauern, dass sie einem Sturmangriff trotzen würden, war ihm nochnicht möglich gewesen. Das Kloster, einst eines der Zentren der Gelehrsamkeit in Böhmen, gespeist von der reichen Tuchmacherstadt vor seinen Mauern, lag nun am Ende der Welt, und die Stadt war geschwächt von Überschwemmungen, Seuchen und einem hartnäckigen Ketzertum, das sich jeder Bekehrung verschloss.
    Manchmal, in seinen einsamsten Gebeten, fragte er Gott, warum er ihn hier hatte versagen lassen. Die Antwort aber kam zuweilen aus einer anderen Quelle, die in den Gewölben tief unterhalb des Klosters atmete und ihre Verdorbenheit in seine Seele hauchte.
    »Geh zurück zu den anderen. Betet weiter. Singt weiter. Die da draußen müssen euch hören können. Wenn das Tor fällt, müssen eure Körper der Widerstand sein, der die Ketzer aufhält.«
    Der Mönch zögerte. Abt Wolfgang blickte ihm in die Augen. Sie waren weit aufgerissen in dem grauen Gesicht.
    »Das Tor wird halten«, sagte der Abt und zwang sich zu einem Lächeln.
    Der Mönch hastete wieder davon. Abt Wolfgangs Blicke wanderten zurück zu der einen Inschrift, die er bewusst hatte stehen lassen, als er den Befehl gegeben hatte, über all die anderen Putz und Farbe zu schmieren. Er hatte sich darauf vorbereitet, gegen Laxheit, Irrlehre und Orientierungslosigkeit zu kämpfen; er hatte sich – wie immer – darauf eingestellt, seinen kleinen Kreuzzug gegen das Nachlassen des Glaubens an dem Ort zu führen, für den er verantwortlich war. Niemand hatte ihm gesagt, dass er in Wahrheit gegen ein Ding anzugehen hatte, das in mehrfachen Truhen verschlossen und mit Ketten gesichert in einem Verlies in den Gewölben unterhalb des Klosters lag, ein Ding, von dem manche behaupteten, sie könnten sein Vibrieren spüren und sein Flüstern hören. Ein Ding, das sich ihm nicht offenbarte, weil er sich weigerte, an die Geschichte seiner Schöpfung zu glauben, unddas dennoch manchmal auch in seinen Ohren zu flüstern schien, wenn sein Hass auf die Widerstände, die sich ihm hier entgegenstemmten, so groß wurde, dass er daran zu ersticken glaubte.
    Abt Martin, der die Monate vor seinem Tod in dieser Zelle verbracht hatte, ein freiwilliger Gefangener seines Wahns, musste vor Angst gelähmt gewesen sein. Abt Wolfgang wusste nicht, was mit Martins katholischem Glauben oder seinem Vertrauen auf die Regeln des heiligen Benedikt geschehen war, aber er nahm an, dass jemand, der in seinem Glauben fest war, keinen Bannspruch benötigt hätte, um die Furcht von sich fernzuhalten. Martin hatte den Bannspruch wieder und wieder in die Wand seiner Zelle geritzt, große Buchstaben, kleine Buchstaben, leserlich wie eine Grabinschrift und unleserlich wie ein Sgraffito. Immer und immer wieder derselbe Spruch, bis die Wände von ihm bedeckt waren und der Putz an manchen Stellen bereits abplatzte. Als er zum ersten Mal hier hereingesehen hatte, hatte Wolfgangs Fleisch sich zu kräuseln begonnen vor Entsetzen. Dass ihm keiner seiner Mönche gefolgt war, wunderte ihn nicht. Wolfgang hatte einen der Sprüche übrig gelassen, direkt in Augenhöhe. Mittlerweile bereute er es; es kam ihm nun vor, als habe er dadurch eine kleine Öffnung geschaffen, durch die das Gift des verfluchten Schatzes in den Klostergewölben in seine Zelle eindringen konnte.
    Über dem Pulsieren der Brandung auf Iona hatte er, wenn er sich angestrengt hatte, einzelne Geräusche ausmachen können: Möwengekreisch, das Bellen von Seehunden … Hier konnte man, wenn man wollte, ebenfalls Obertöne vernehmen, nicht viel anders als das schrille Kreischen der weißen Vögel. Es waren Schmähungen und Verwünschungen. Sein Name, Abt Wolfgangs Name, kam darin vor. Er hörte die Beschimpfungen, und die Erinnerung an die ziehenden Wolken und die segelnden Möwen davor wurde faul.
    Er starrte die Wand an. Seine Zähne mahlten aufeinander, dass sie ihm wehtaten. Auf Iona hatte er sich manchmal in den peitschenden Wind gestellt, die Arme ausgebreitet, in das beständige Brausen hineingebrüllt, die Augen geschlossen und den Regen im Gesicht, und in all seiner Kleinheit gegenüber den Elementen gespürt, dass Gott ihn dort hingestellt hatte, wo er gebraucht wurde, und ihn mit seiner Kraft erfüllte. Das Brüllen war in Wahrheit ein Psalm gewesen. Hier hatte er mehr und mehr das

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