Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
abwechselnd kalte und heiße Schauer durch seinen Körper. Er lauschte auf das raue Geräusch hinter der Tür und erkannte, dass sie weinte.
Alexandra schüttelte den Kopf. Sie war blass, aber sie hatte sich von allen am schnellsten von der Überraschung erholt. Ihr Gesicht zeigte Verachtung. In diesem Moment hasste Heinrich sie, wie er sie nie zuvor gehasst hatte. Er wusste nun, dass es absolut richtig war, was er zu tun vorhatte. Er drehte sich herum, hob die Faust und schlug sie. Ihr Kopf schnappte herum und prallte an die Wand. Im nächsten Moment war sie daran heruntergerutscht. Er packte sie um die Hüfte und hob sie hoch. Sie stammelte, halb besinnungslos. Er trug sie davon, so schnell er konnte.
Filippo holte ihn ein, als er ihr den Strick bereits um den Hals gebunden und sie auf die Brüstung der hölzernen Brücke zum Bergfried gehoben hatte.
»Was tun Sie da?«, fragte Filippo mit weit aufgerissenen Augen.
Er würdigte ihn keines Blickes. Es war ganz einfach. Es war sogar höllisch einfach. Diana war perfekt gewesen, Kassandra war es nicht. Diana gab es nicht mehr, es gab nur noch Kassandra. Kassandra, die sich plötzlich verletzlich gezeigt hatte. Er hingegen hatte alle Aufgaben erfüllt, die sie ihm gestellt hatte. Er hatte alle Prüfungen bestanden. Er musste nur noch Cyprian überwältigen, sich den Sieg holen, den sie ihm nicht zugetraut hatte, und die Waagschalen hätten sich endgültig zu seinen Gunsten gesenkt. Die Rollen wären vertauscht. Er wäre der Gebieter, und Kassandra hätte die Rolle, die zuvor immer er gespielt hatte. Die Göttin, die sich einen Sterblichen zum Gespielen erwählt hatte, und der Sterbliche, der sich aus eigener Kraft zur Göttlichkeit erhob.
Ein Zweikampf! Es musste ein Zweikampf sein. Er musste Cyprian vor Kassandras Augen auslöschen. Und Cyprian würde kämpfen, wenn er den Preis sah: seine Tochter, ausgestreckt auf der Brüstung, den Strick um den Hals, mit dem sie sich erhängen würde, sobald sie nur die kleinste Bewegung machte. Er würde um jeden Preis versuchen, sie zu retten, und Heinrich würde dafür sorgen, dass er den Preis nicht bezahlen konnte. Sein Atem flog. Wenn er sein Gesicht hätte sehen können, hätte er sich selbst nicht erkannt.
»Sind Sie verrückt? Sie wird sich erhängen.«
»Hau ab, Pfaffe«, sagte Heinrich und schnürte an Alexandras Handfesseln herum, um ihre Handgelenke hinter ihrem Rücken zusammenbinden zu können.
»Hören Sie auf!«
Es war nur der Überraschung zu verdanken, dass es dem Pfaffen gelang, Heinrich an der Schulter zu packen, herumzudrehen und ihn mit einem wilden Schwinger aufs Kinn zu treffen. Die Welt zog sich zu einem kleinen Punkt vor Heinrichs Augen zusammen, und er spürte den Ruck, der durch seinen Körper ging, als seine Knie nachgaben und er sich hinsetzte. Er schüttelte den Kopf und hörte sich ächzen.
Filippo versuchte, Alexandra von der Brüstung zu zerren, und fummelte gleichzeitig an dem Strick um ihren Hals herum. Heinrich kam taumelnd auf die Beine und rannte, noch halb gebückt, in den Pfaffen hinein. Der magere Bursche hatte keinerlei Gewicht. Der Schwung, den Heinrich hatte, half ihm, Filippo hochzuheben und über die Brüstung zu wuchten. Er sah den weit aufgerissenen Mund und die tödliche Überraschung in Filippos Augen und dessen hilflos rudernde Arme. Er krallte sich in Todesangst in Alexandras Gewand fest und riss sie mit sich. Heinrich warf sich mit einem wilden Schwung nach vorn und bekam sie an Schultern und Hüften zu fassen. Er wurde beinahe ebenfalls über die Brüstung gezerrt und ächzte, als der Ruck in seine Schultern schoss. Filippo hing mit beiden Händen in Alexandras Rock über dem Abgrund. Heinrich drückte die junge Frau an sich wie ein Liebender. Er wusste, dass er es nicht schaffen würde, sie undFilippo noch länger als ein paar Augenblicke zu halten. Bestürzt starrte er an Filippo vorbei in die gähnende Tiefe. Der Strick, der Alexandras Genick brechen würde, wenn sein Griff erlahmte, kratzte an seiner Wange. Alexandra warf stöhnend den Kopf hin und her. Der Stoff ihres Kleides begann zu reißen. Undeutlich dachte Heinrich daran, dass Filippo Caffarelli die Probe nicht bestanden hatte.
Filippos Blicke trafen die seinen. Es traf Heinrich wie ein Schock, dass kein Hass darin zu lesen war, sondern lediglich Verstehen – und Erleichterung. Filippos Hände lösten sich, und er fiel durch die Leere, bis er unten aufschlug und mit verrenkten Gliedern liegen blieb.
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