Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
möglich war, sich mit diesen beiden Frauen gleichzeitig zu vereinen – und der einen das Herz aus der Brust zu reißen, um es der anderen zu Füßen zu legen.
»Dann haben Sie ihn in Wahrheit niemals gebraucht, oder?«, fragte er und deutete auf Filippo.
»Natürlich habe ich ihn gebraucht. Pater Filippo war der beste Beweis für meine Überzeugung.« Sie nahm scheinbarachtlos eines der Weingläser und trat an den schwitzenden Pater heran. Zu Heinrichs akuter Missbilligung strich sie ihm über die Wange. Der Mund des Pfaffen arbeitete immer noch stumm. Die Arme hingen wie Holzstücke an seinen Seiten herab. Sie lächelte angesichts seiner stummen Not, dann tauchte sie einen Finger in den Wein und fuhr damit über Filippos Unterlippe. Der Wein lief über sein Kinn herab wie Blut. Er begann zu zittern. Sie lächelte. Heinrich ballte die Fäuste so sehr zusammen, dass sich seine Fingernägel in die Handflächen gruben. »Sie haben geglaubt, Pater Filippo, Sie haben voller Inbrunst daran geglaubt, dass es Gott gibt. Sie sind nicht hierhergekommen, weil Sie Ihren Glauben verloren hatten, sondern weil Sie trotz allem, was Sie erlebt hatten, verzweifelt versucht haben, weiter zu glauben. Als ich verstand, dass die Teufelsbibel der wahre Gral ist, begann ich, auf meinen Parzival zu warten – den wahren Toren, der alle Unbill der Welt auf sich nimmt, weil er glaubt, er wäre der Auserwählte.«
Der Pfaffe sagte nichts. Heinrich versuchte, den Abgrund zu überwinden, der sich vor ihm aufgetan hatte und der so tief war wie die Erkenntnis, dass er nie auch nur einen Bruchteil dessen verstehen würde, was diese Frau mit dem Gewand eines Engels und der Schönheit einer Göttin antrieb. Er fragte: »Und Sie, meine verehrte Diana? Wer sind Sie in diesem Märchen? Die Hexe Kundry?«
Sie schenkte ihm einen abfälligen Blick. Er errötete. Sie wandte sich wieder Filippo zu. Heinrich wusste, dass dies nur ein weiteres Spielchen mit ihm war, aber es war hoffnungslos, die Wut und die Eifersucht in seinem Innern beherrschen zu wollen. »Ich bin diejenige, die das Märchen erzählt«, sagte sie zuletzt.
Die Wut und zugleich die Angst vor ihrer erbarmungslosen Einsicht in das Wesen der Menschen schossen in Heinrich hoch – und in gleichem Maß die unterdrückte Lust der letztenStunden. Sie ließen ihn ertrinken wie unter einer Woge. Er sprang zu ihr hinüber, stieß Filippo beiseite, riss sie an sich und drängte ihr einen Kuss auf. Ihre Lippen waren heiß, nachgiebig und ohne den Hauch einer Erwiderung seines Kusses. Er keuchte. Sie war wie eine Puppe in seinen Armen. Er begann, ihr Gesicht mit Küssen zu bedecken.
»Erzählen Sie unsere gemeinsame Geschichte«, stöhnte er. »Ich bin der Ihre, ich bin nie etwas anderes gewesen.«
Er leckte ihr über das Gesicht, wie er draußen über Alexandras Gesicht geleckt hatte. Ihre Schminke verwandelte sich in parfümierten Schlamm in seinem Mund. Sie begann, sich unvermittelt zu wehren, aber er ließ nicht nach.
»Sie …«, grunzte er. »Ich gehöre Ihnen. Beherrschen Sie mich. Nehmen Sie mich. Befehlen Sie mir. Töten Sie mich hinterher, aber lassen Sie mich noch einmal eins mit Ihnen …«
Ihr Knie kam nach oben. Er hatte damit gerechnet und sein Becken zur Seite gedreht, obwohl er nichts mehr wollte, als sein steinhartes Glied an ihren Körper zu pressen. Womit er nicht gerechnet hatte, waren die Fingernägel, mit denen sie ihm durch das Gesicht fuhr. Bei seinen anderen Versuchen, sie zu küssen, hatte sie stets ihren Spott mit ihm getrieben, sich ihm entweder verweigert oder so getan, als mache er sie hitzig. Dies jedoch war ernsthafte, hasserfüllte Gegenwehr. Er zuckte zurück. Ihr Gesicht war verzerrt, und etwas stimmte plötzlich nicht mehr damit. Er konnte nicht sehen, was es war. Sie schüttete ihm das volle Weinglas in die Augen. Die Flüssigkeit machte ihn blind. In einem Reflex packte er den Weinkrug und warf das Tablett zu Boden, hörte zwei Drittel der Jahreskosten Pernsteins auf dem Boden zerschellen und schüttete den vollen Krug in das zornverzerrte Gesicht vor sich.
Polyxena schlug die Hände vor ihr Antlitz und begann zu kreischen. Sie taumelte zurück, stieß gegen eine Truhe, stolperte gegen einen Wandspiegel, warf ihn herunter. Er zerplatzte mit einem Knall wie ein Musketenschuss, eine Million wirbelnde, glitzernde Splitter, die millionenfach ihre im Raum umherstolpernde, sich um sich selbst drehende weiße Gestalt zeigten. Alexandra schrie vor Schreck.
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