Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
Seite. »Tut die Narbe noch immer weh?«
»Sie ist mittlerweile mehr interessant als schmerzhaft, um ehrlich zu sein.«
Sie schaute auf ihn hinunter. Er gab ihren Blick offen zurück.
»Was soll aus uns werden?«, fragte er schließlich.
»Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht so schnell daran gewöhnen, dass alles anders ist. Ich habe dich immer als meinen Blutsverwandten gesehen. Das schüttelt man nicht so leicht ab. Und ich habe Heinrich geliebt. Selbst als ich wusste, dass er mich töten wollte, war da immer noch Liebe für ihn vorhanden.«
»Sie ist es noch.«
»Ich weiß«, flüsterte sie erstickt. »Gib mir Zeit.«
Er nickte. Dann nahm er ihre Hand, und sie ließ es geschehen. Sie legte sich neben ihn ins Gras auf den Rücken, und gemeinsam schauten sie in den Himmel. Gib mir Zeit. Das hörte sich hoffnungsvoll an, oder nicht? Aber in Wahrheit verlangte sie das Einzige, das sie nicht hatten. Der Krieg hatte ihnen diese Option genommen.
Er hielt ihre Hand trotzdem fest, und sie erwiderte seinen Händedruck.
Für den Augenblick war es gut. Für den Augenblick war es perfekt.
Aber was konnte man als Mensch schon mehr verlangen als einen perfekten Augenblick? Für die Ewigkeit gab es Gott – und den Teufel.
Anhang
Die Teufelsbibel
Sie ist knapp einen Meter hoch, fünfzig Zentimeter breit und fünfundsiebzig Kilogramm schwer. Für das Pergament, auf dem sie geschrieben worden ist, mussten einhundertsechzig Esel ihr Leben lassen. Sie ist einzigartig und eines der wertvollsten Artefakte der mittelalterlichen Kirchengeschichte. Man kennt sie unter dem Namen Codex Gigas oder – Teufelsbibel.
Ihre Zusammensetzung ist so rätselhaft wie ihre Entstehung im 13. Jahrhundert. Sie besteht aus dem Alten und dem Neuen Testament, allerdings in einer für das Mittelalter ungewöhnlichen lateinischen Übersetzung, die auf einen Bischof des vierten Jahrhunderts mit dem bezeichnenden Namen Luzifer zurückgeht, aus der Jüdischen Geschichte des Flavius Josephus, einer Enzyklopädie des Wissens auf der Basis des Isidor von Sevilla, medizinischen Standardrezepten benediktinischer Tradition, einer Abschrift der Böhmischen Chronik des Cosmas von Prag, einer Totenliste von Mönchen und einem Kalendarium.
Mehrere Seiten fehlen, über deren Inhalt man nur spekulieren kann. Die gängige Meinung ist, dass es sich um eine Niederschrift der Benediktsregeln handelt, aber diese hätten die fehlenden Seiten nicht vollständig gefüllt. Im letzten Viertel des Buches befindet sich das, was dem Codex letztlich seinen Namen gab und was noch ungewöhnlicher als der Rest des Werks ist. Gegenüber einer Zeichnung, die wohl die »ideale« Stadt Jerusalem darstellen soll, findet man ein ganzseitiges Bildnis des Teufels. Davor und danach befinden sich merkwürdig braun gefärbte, leere Seiten und wieder davor ein zweiseitiges Sündenbekenntnis, das in so großen Lettern geschrieben ist, dass es wie der schriftliche Aufschrei einer gequälten Seele wirkt.
Es scheint, dass das Werk anfangs zum Studium freigegeben war; immerhin besteht es zum größten Teil aus Nachschlagewerken, und auch das Alte und Neue Testament könnendurchaus als historische Referenzen bezeichnet werden. Anzeichen des Gebrauchs finden sich in Form von kleinen handschriftlichen Randnotizen aus der Zeit nach der Entstehung und Gebeten, die nachträglich hinzugefügt wurden. Aber alles in allem dürfte die Verwendbarkeit eingeschränkt gewesen sein, vom Gewicht und Umfang des Buches her und nach der Kleinheit des Schriftbildes zu urteilen. Wir müssen zugeben, dass sich eine vollständige Deutung des Sinns der Teufelsbibel unserem heutigen Wissen entzieht.
Dem Schriftbild zufolge muss die Teufelsbibel aus einer Hand stammen. Berücksichtigt man die Geschwindigkeit, in der ein solches Werk geschaffen werden konnte, und seinen Umfang, kommt man auf eine Entstehungsdauer von etwa zwanzig Jahren – oder, wenn man der Legende folgt, einer Nacht, in der der Teufel selbst um den Preis der Seele eines eingemauerten Mönchs den Codex vollendete. Die Tatsache, dass fast alle Orte, die mit der Teufelsbibel in Berührung kamen, früher oder später untergingen, hat zur Legendenbildung beigetragen. Das Kloster von Podlaschitz (heute: Podlazice), in dem sie entstand, wurde in den Hussitenkriegen zerstört, das Kloster von Brevnov, in dem sie kurzzeitig untergebracht war, ebenfalls. Die Katastrophe, die das Kloster von Braunau (heute: Broumov) ereilte, in der sich die
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