Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
ich nicht einmal daran denken kann, ohne zu zittern. Und doch spüre ich ihren Verlust, als hätte mir jemand das Herz herausgerissen.«
»Sie haben dem Lockruf des Bösen am Ende widerstanden.«
»Als sich am Tag des Fenstersturzes die Herren Martinitz und Slavata und ihr Schreiber in mein Haus retteten, erkannte ich plötzlich, dass sie tatsächlich die Macht errungen hatte, das Reich in den Krieg zu treiben. Zuvor hatte ich insgeheim daran gezweifelt. Ich musste sie aufhalten.«
»Ihre Erkenntnis mag zu spät gekommen sein.«
»Man kann gegen das Böse immer nur kämpfen – und hoffen. Für die Hoffnung ist es nie zu spät.«
Melchior gab ihr das Blatt zurück. Die Frau des Reichskanzlers nahm es nicht entgegen.
»Ich hätte das alles verhindern können, wenn ich stark genug gewesen wäre«, sagte sie.
»Man kann niemanden davon überzeugen, dem Bösen zu entsagen. Diesen Schritt muss jeder von sich aus tun – oder untergehen.«
»Sie wissen natürlich, wovon Sie reden.«
»Nein«, sagte er und seufzte. »Nein, ich weiß es nicht. Ich habe mein halbes Leben dem Kampf gegen die Verlockung der Teufelsbibel gewidmet und habe nicht ein einziges Mal den Mut gefunden, ihr leibhaftig gegenüberzutreten.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie sich selbst nicht für gefestigt genug im Glauben gehalten haben?«
»Meine Liebe«, sagte Melchior lächelnd und deutete auf die in Schmerz erstarrte Gestalt der Muttergottes in der Darstellung hinter ihr, »jemand, der überzeugt ist, im Glauben fest genug zu sein, ist schon auf dem halben Weg in die Dunkelheit.«
Sie musterte ihn, dann wandte sie sich ab, kniete sich auf die Bank vor der Kapelle und begann zu beten. Melchior betrachtete sie ein paar Augenblicke von hinten, erinnerte sich an ihre Schönheit; er sah erneut hoch zum Antlitz der Muttergottes und fand dort eine ganz andere Schönheit, aber denselben Schmerz. Leise bekreuzigte er sich und ging hinaus.
3
Alexandra machte es sich neben Wenzel bequem. Von den Gärten der Burg aus konnte man ganz Prag überblicken. Es funkelte und glitzerte im warmen Sonnenschein. Wenzel hatte sich von der Feier fortgestohlen, die in der Firma stattfand und bei der – nach außen hin – die Aufnahme der Partner Augustýn und Vlach gefeiert wurde. Was sie eigentlich feierten, hatten die Hauptbeteiligten für sich behalten. Von den Gästen hätte es ohnehin niemand geglaubt.
Alexandra war ihm nach ein paar Minuten gefolgt. Sie hatte gewusst, wo sie ihn suchen musste.
»Was schreibt der Kardinal?«, fragte sie.
Wenzel wedelte mit einem Brief, der auf teurem Pergament geschrieben war.
»Er ist immer noch damit beschäftigt, so viele falsche Fährten zu legen, dass der Heilige Vater nie näher an die Wahrheit über die Teufelsbibel herankommen wird, als er es jetzt schon ist – und das ist noch sehr weit weg.«
»Gefällt es ihm in Rom?«
»Hast du gedacht, er würde schreiben, dass er uns vermisst?«
»Vermisst er uns?«
»So wie ich ihn kenne: ja.«
»Was schreibt er sonst noch?«
»Fischer haben den ehemaligen Abt von Braunau im Tiber gefunden. Er scheint ertrunken zu sein. Angeblich hatte er in einer Hand noch immer eine dieser großen Muscheln. Du weißt schon, wenn man sie ans Ohr hält, hört man das Meer rauschen.«
Alexandra blickte über den weiten Talkessel Prags. Die Stadt sah nicht anders aus als sonst – als wüsste sie nicht, dass in Wahrheit nichts mehr so war wie früher.
»Man hat die königlichen Statthalter ihrer Ämter enthoben«, sagte Wenzel. »Graf Martinitz ist nach dem Fenstersturz nach Bayern geflohen, Wilhelm Slavata steht unter Hausarrest. Die Stände haben ein dreißigköpfiges Direktorium gewählt. Graf Matthias von Thurn ist zum Oberbefehlshaber des Ständeheeres ernannt worden und bereitet den Krieg vor. Auf der katholischen Seite tun König Ferdinand und die Katholische Liga das Gleiche. Der Kaiser hat einen obersten Feldherrn benannt, den Grafen von Buquoy. Die Ligatruppen kommandiert ein Brabanter, der Graf von Tilly.«
»Du glaubst, dass der Krieg unausweichlich ist, nicht wahr?«
»Er war es schon lange vor Kaiser Rudolfs Tod.«
»Dann hat Kassandra keine unmittelbare Schuld an seinem Ausbruch?«
Wenzel zuckte mit den Schultern. »Sie hat alles getan, um ihn voranzutreiben. Aber zum Streit braucht es immer zwei: den, der ihn vom Zaun bricht, und den anderen, der darauf eingeht.«
Er ließ sich ins Gras zurücksinken und zuckte zusammen. Alexandra deutete auf seine
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