Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
Dieser Mann hat mein Leben zerstört. Aber er hielt sich zurück. Er ahnte, dass niemanden in diesem Raum das Leben eines ehemaligen Abtes interessierte, der sein Kloster und den Sinn seines Daseins durch seine Hände hatte gleiten lassen. Der alte Hass stieg wieder in ihm hoch, doch diesmal war der Beigeschmack der Verzweiflung noch stärker als sonst.
»Ja, Heiliger Vater«, sagte Reichskanzler Lobkowicz. »Sind der Heilige Vater nicht der Meinung, dass dies Verrat gegen Reich und Kirche bedeutet?«
Der Papst musterte Lobkowicz unter gesenkten Brauen hervor, als glaubte er, der Reichskanzler habe einen Witz gemacht und er, der Papst, habe ihn nur nicht verstanden.
Wie soll er das glauben?, heulte Wolfgang lautlos. Das war die am schlechtesten vorbereitete Anklage, die ich je gehört habe! Zitierte Zeugenaussagen, die dann zurückgenommen wurden, wenn der Papst auch nur so viel wie den Namen des Zitierten erfahren wollte, Dokumente, die als Beweismaterial mitgenommen worden waren und deren Inhalt nur bei äußerst polemischer Interpretation den Schatten des Zweifels auf Kardinal Melchior werfen konnte – wenn man nicht überhaupt feststellte, dass man aus Versehen die falschen Dokumente von Prag bis nach Rom gebracht hatte. Reichskanzler Lobkowicz hatte vor den Augen Seiner Heiligkeit drei seiner Sekretäre wegen erwiesener Unfähigkeit entlassen und sich dann wortreich für die Inkompetenz seiner Leute entschuldigt.
Zuletzt hatte nur noch Wolfgangs Aussage zwischen Melchior und der Wiedereinsetzung in seine alten Ämter gestanden. Es war von Anfang an schiefgegangen.
»Melchior Khlesl hat …«, hatte Wolfgang begonnen, und schon hatte ihn der Protokollant des Papstes unterbrochen.
»Die Anrede ist Seine Eminenz«, hatte der Protokollbeamte gesagt.
Halb erstickt vor Wut, hatte Wolfgang sich berichtigt.
»Seine Eminenz Kardinal Khlesl hat mich gebeten, die Abtei von Iona zu verlassen und als Abt das Kloster von Sankt Wenzel in Braunau zu führen …«
»Iona? Wo ist denn das?«
»An der schottischen Küste, Heiliger Vater.«
»An was für einer Küste?«
»Der schottischen, Heiliger Vater.«
»Da leben doch lauter Abtrünnige, Anglikaner oder wie sie sich nennen. Verkappte Protestanten.«
»Das ist in England, Heiliger Vater.«
»England und Schottland sind ja nicht so weit voneinander entfernt, oder?«
»Natürlich nicht, Heiliger Vater.«
»Also … weiter, bitte.«
»Ich habe das Kloster von Sankt Wenzel in Braunau in der Hoffnung übernommen, mich dort nicht nur …«
»Du bist dem Ruf unseres lieben Kardinals und Freundes also freiwillig gefolgt?«
»Ich bin dem Ruf der Pflicht gefolgt, Heiliger Vater.«
»Und der erklang in Braunau lauter als in Schottland?«
»Wenn ich ehrlich sein soll, Heiliger Vater, es war eine schwere Entscheidung …«
»Ein Hund, der nicht mit ganzem Herzen zur Jagd zieht, soll zu Hause bleiben. Was hast du dir davon erhofft, die Stelle des Abtes in Braunau zu übernehmen, obwohl du sie nicht wolltest?«
Und so war es weitergegangen. Innerhalb weniger Augenblicke war Wolfgang von einem Zeugen zu einem Verdächtigen geworden.
Er geriet ins Stottern, musste sich den Vorwurf gefallen lassen, in der Angelegenheit der protestantischen Kirche in Braunau unsensibel vorgegangen zu sein, sah sich mit dem Verlust der Bibliothek belastet und dem verheerenden Eindruck, den seine Flucht aus dem belagerten Kloster hinterlassen hatte, und wurde endlich sogar dafür gescholten, dass bei dem Überfall auf ihn und seine Gruppe Mönche zu Tode gekommen waren.
»Aber davon spreche ich doch die ganze Zeit!«, schrie Wolfgang auf. »All das ist nur deshalb geschehen, weil Melchior Khlesl mich mit der Bewachung der Teufelsbibel beauftragt hat!«
Melchior verdrehte still die Augen.
»Vor ein paar Jahren hat ein Priester hier in Rom nach einem Codex gesucht, den er ebenfalls als Teufelsbibel bezeichnete. Wir haben ihn aus dem Vatikan versetzt«, sagte der Papst und beugte sich vor.
»Die Teufelsbibel ist eine mächtige Legende. Manche glauben eher an sie als an den Gral«, warf Melchior ein.
»Sie ist keine Legende!«, schrie Wolfgang.
»Was widerfährt dem, der sie findet?«, fragte der Papst.
Melchior zuckte mit den Schultern. »Was geschieht mit dem, der eine Legende findet? Wird er reich? Oder findet er nur die Wahrheit, nämlich dass jeder, der glaubt, ein Suchender sein sollte nach der immerwährenden Gnade Gottes?«
»Wir haben seinerzeit nachgeforscht, aber
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