Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
meldete sich und besaß eine zwingende Verlockung. Weglaufen, flüchten vor einem kleinen, pausbäckigen Mann, der seiner Frau die Füße ableckte? Wenn es jedoch eine Gewissheit gab, dann die, dass es besser war, fünf Minuten ein Feigling zu sein als ein Leben lang tot.
Er war schon fast an der Tür, als diese sich öffnete. Er prallte zurück, dann vergaß er, dass er sich hatte aus dem Staub machen wollen; er vergaß sogar die angemessene Verbeugung. Sein Mund stand offen, und er gaffte.
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Filippo hatte vermutet, Oberst Segesser werde ihn durch irgendwelche versteckten Treppenhäuser führen, die ihm, Filippo Caffarelli, trotz der vielen Jahre, die er im Vatikan verbracht hatte, noch immer verborgen geblieben waren. Stattdessen stapfte der Oberst vor ihm durch die trocken-kalten Kellergewölbe her, in denen all der Unrat gelagert wurde, den irgendein Vorgänger des jetzigen Papstes der Kirche vermacht hatte und den wegzuwerfen noch niemand die Zeit oder genügend Kaltschnäuzigkeit besessen hatte. Anfangs war Filippo noch fasziniert gewesen, als er gelernt hatte, dass die farbbekleckerten Stangen und Bretter die Einzelteile des Gerüsts waren, mit dessen Hilfe Michelangelo Buonarotti vor hundert Jahren die Sixtinische Kapelle bemalt hatte, oder dass die holzwurmzerfressenen, bauklotzartigen Gebilde, die zu Hunderten wild durcheinander in Kisten lagen, die verschiedenen Entwürfe zur Umgestaltung des Petersdoms darstellten und aus den Händen so prominenter Möchtegernarchitekten wie Bramante, Raffael, Sangallo, Peruzzi und wiederum Michelangelo stammten. Reliquienschreine von aus der Mode gekommenen Heiligen, aus deren goldfarben bemalten Fassungen vorher die Edelsteine herausgebrochen worden waren, lagen zwischen Stein- und Terrakottastatuen, die irgendwelche Delegationen aus irgendwelchen Städten irgendeinem Heiligen Vater als Geschenk ihrer Heimat mitgebracht hatten. Ein Stapel Pergamentrollen schimmelte in halb zerbrochenen Tonröhren in einer Ecke vor sich hin und sah aus wie das komplizierte Heizungssystem eines Hypokaustums; angeblich handelte es sich um Abschriften von Traktaten des großen Aristoteles, in denen er über die Qualität des Lachens referiert hatte, was nicht zu den sonstigen Schriften des griechischen Philosophen passte, auf denen die Kultur der katholischen Kirche beruhte und die deshalb nur gekonnte Fälschungen sein konnten. Warum man sie in diesem Fall nicht einfach verbrannt hatte, entzog sich Filippos Kenntnis und ließ ihn seine eigenen Schlüsse ziehen.
In seinen ersten Monaten war Filippo immer wieder hierhergekommen und hatte die Dinge berührt, die einmal berühmten Händen wichtig gewesen waren. Mit der Zeit aber hatte sich bei ihm die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein bekleckertes Holzgerüst eben doch nicht mehr war als das: ein bekleckertes Holzgerüst.
Zu seiner Überraschung steuerte Oberst Segesser auf die Tonröhren in der Ecke zu. Er stellte die Laterne ab und räumte die Röhren beiseite. Verblüfft erkannte Filippo, dass die Röhren, die obenauf und an den Seiten lagen, länger waren als die anderen. Sie kaschierten den Umstand, dass eine niedrige Nische in der Wand war und dass eine wuchtige Truhe, so weit es ging, in diese Nische hineingeschoben worden war. Filippo schluckte plötzlich. Die am besten verborgenen Schätze lagen tatsächlich offen da … Wie oft war er hier vorbeigekommen, hatte sogar einmal versucht, eines der Pergamente aus seiner Röhre zu ziehen, sich aber vor dem modrigen Verfall und dem huschenden Krabbeln darin geekelt? Er spürte das Herz in seinem Hals schlagen und seine Hände plötzlich feucht werden.
Der Oberst hatte den Zugang zur Truhe freigeräumt. Der Riegel war nur vorgelegt, nicht mit einem Schloss gesichert.
»Ein Schatz, der offen daliegt?«, wiederholte er laut. »Hm, Oberst? Treten Sie beiseite.«
Als er vor der Truhe stand, gellte ein einzelner Gedanke durch den Wirrwarr, zu dem seine Hirntätigkeit sich reduziert hatte. Die Suche war zu Ende. Nun würde er wissen, ob er den wahren Glauben finden konnte – oder ob sich die Befürchtung bewahrheitete, dass es keinen Glauben, keine Hoffnung, keine Liebe gab, sondern nur das Wissen darüber, dass das Gute auf der Welt lediglich das Böse war, das zufällig nicht eintraf.
In den Jahren im Geheimen Archiv hatte Filippo so viele Dokumente der Unterdrückung von Wissen, des Betrugs, des Opportunismus, der Korruption und der Ketzerei innerhalb der katholischen Kirche
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