Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
Heinrich erkannte, dass er schon eine ganze Minute dagesessen hatte, ohne etwas gesagt zu haben. Zwei winzige Grübchen kerbten die Schminke an ihren Mundwinkeln, als sie amüsiert lächelte. Sie hatte die Lippen tiefrot geschminkt. Der Effekt war der eines auf die Erde herabgestiegenen Engels, der Blut geleckt hat.
»Und Sie, Madame von Lobkowicz«, sagte er, »wie soll ich Sie nennen?«
Ihre Augen ließen die seinen nicht los.
»Welchen Namen würden Sie denn als passend für mich erachten?«
»Aphrodite«, sagte er, ohne nachzudenken.
Ihr Lächeln vertiefte sich um eine Nuance. »Nein«, sagte sie.
Heinrichs Hirn hatte mittlerweile aufgeholt. Sein Herz und etliche tiefer gelegene Regionen seines Körpers waren noch immer in Aufruhr, aber das Denken hatte wieder eingesetzt.
»Nein«, sagte er. Er erwiderte ihr Lächeln. »Diana«, sagte er.
»Muss es eine Göttin sein?«
»Unbedingt.« Er probierte das Lächeln, von dem er wusste, dass es selbst Klosterschwestern erröten ließ. Es prallte nicht an ihr ab, sondern wurde spurlos aufgesaugt. Ihre eigene Miene veränderte sich nicht.
»Diana«, sagte sie und nickte.
»Was kann ich für Sie tun, Madame … Diana?«
Einen kleinen Augenblick schien sie nachzudenken, ob sie ihm nicht zu viel Raum gegeben hatte, und zu seiner eigenen Überraschung wartete er geradezu angespannt auf ihre Zurechtweisung. Seine Überraschung war noch größer, als ihm klar wurde, dass sie ihn damit treffen und dass er sich uneingeschränkt daran halten würde. Er dachte daran, wie er gehofft hatte, auf dem Bild der geopferten Polyxena ihre Gesichtszüge über den prallen gemalten Brüsten zu sehen. Er schämte sich dafür; nicht, weil es ihm plötzlich schmutzig erschien, sondern weil ihre ganze Erscheinung, eingehüllt in dieses Kleid von Kopf bis Fuß, hundertmal mehr Begierde in ihm auslöste als das lächerliche Gemälde. In seinem Schoß pochte es, und er war froh über die weiten venezianischen Überhosen, die selbst einen aufrecht stehenden Bidenhänder kaschiert hätten.
Nicht dass er nicht ahnte, dass sie seine Erektion in seinen Augen sehen konnte.
»Sie haben schon etwas für mich getan … Henyk.«
»Ja?« Er wusste, dass er es zu schnell und zu überrascht gesagt hatte. Im Stillen fragte er sich, wann er in diesem Gespräch wieder die Oberhand bekommen würde, und fand sich bereits damit ab, dass es vielleicht nie sein würde.
»Sie haben mir einen Dienst erwiesen.«
»Nennen Sie mir einen weiteren, und ich werde ihn mit Freuden aufs Neue erweisen.«
Sie hob eine Hand und hielt sie vor sein Gesicht. Er wollte danach greifen, im Glauben, er solle ihr die Hand küssen, da erkannte er, dass sie zwischen Zeige- und Mittelfinger eine silberne Münze hielt. Er wollte sie aufnehmen, doch mit einer Fingerfertigkeit, die er so nur bei Gauklern gesehen hatte, ließ sie die Münze über ihre Finger wandern, bis sie unter ihrer Handmuschel verschwunden war. Sie lächelte ihn an. Erlächelte verwirrt zurück. Ihr Blick senkte sich auf ihre Hand, seine Blicke folgten ihr, und da kam die Münze wieder nach oben, sie schnippte sie in die Luft, fing sie und drückte sie ihm mit einer einzigen Bewegung in die Hand, die immer noch in der Luft gehangen hatte wie die eines Idioten. Dann trat sie einen Schritt zurück und beobachtete ihn.
Er sah die Münze an. Er kannte die Prägung. Die Erkenntnis war wie ein Guss Eiswasser, dem ein Schwall Kochwasser folgte.
»Mein Geburtsname ist Pernstein«, sagte sie. »Pernstein, wie die Burg in Mähren. Die Burg, zu der Sie die Teufelsbibel gebracht haben.«
» Sie haben mich beauftragt, sie zu stehlen?«
»Enttäuscht, mein lieber Henyk?«
Es pulste durch seinen Körper wie ein heftiger Stoß, als ihm klar wurde, dass sie sich damit in seine Hände begeben hatte, so wie er in den ihren war. Natürlich hatte er Mutmaßungen angestellt, wer der geheimnisvolle Auftraggeber sein mochte, der ihm in Einzelheiten geschildert hatte, was er an sich bringen sollte. Dass es nicht irgendjemand war, war klar – irgendjemand hätte nicht gewusst, dass es die Teufelsbibel gab, geschweige denn, dass sie in Kaiser Rudolfs Kuriositätenkabinett lag. Aber dass es die Frau des Reichskanzlers war … Er hatte sich keinerlei Gedanken darüber gemacht, was es bedeutet hatte, dass er seine Beute nach Pernstein bringen sollte. Pernstein war nicht mehr als eine halbe Erinnerung an den Hofklatsch über einen Sohn, der das Erbe seines Vaters verprasst hatte,
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