Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
vorbeizuschauen.
Dass nicht nur sie das ungewisse Locken vernahm, wäre ihr nicht im Traum in den Sinn gekommen, wenn sie nicht plötzlich Wenzel von Langenfels hätte herankommen sehen, ihren peinlichen Cousin.
Es war zu spät, um sich weiter ins Innere des Gebäudes zurückzuziehen, er war schon fast an der Tür. Entschlossen trat sie ihm in den Weg. »Schnüffelst du mir nach?«
Wenzel holte Luft. Er war erschrocken, aber er war wenigstens keiner von denen, die theatralisch zusammenzuckten und sich am Türrahmen anlehnen mussten.
»Nein«, sagte er.
»Was tust du dann hier?«
Er zuckte mit den Schultern. »Mein Vater kommt ab und zu hierher.«
»Was? Das ist doch das alte ÝWiegant & WilfingÜ-Haus. Was hat dein Vater damit zu tun?«
»Keine Ahnung. Aber er kommt mindestens einmal im Jahr hierher.«
»Dann hast du ihm nachspioniert, oder?«
Er zuckte wieder mit den Schultern.
»Was tut er denn, wenn er hier ist? Sucht er irgendwas?«
»Natürlich sucht er irgendwas.«
»Buddelt er hier herum?«
Wenzel lächelte schwach. »Um etwas zu suchen, muss man nicht rumgraben oder Steine umdrehen und so weiter.«
»Ach so. Und was sucht er dann. Die Liebe?« Sie grinste spöttisch. Wenzel verzog keine Miene, und Alexandra wurde klar, welche Grobheit ihr soeben entschlüpft war. Sie wurde über und über rot.
Eigentlich mochte sie ihren Onkel Andrej von Langenfels. Er strahlte eine seltsame Mischung aus Trauer und Zufriedenheit aus, wie ein Mann, der etwas Wertvolles verloren, abersich damit abgefunden hatte und der im Austausch dafür etwas gefunden hatte, was ihm nun das Wichtigste auf der Welt darstellte. Er wirkte wie ein Mensch, der an einem Ziel angekommen war. Man konnte sich darauf verlassen, dass er wusste, wovon er redete, und dass er das tat, was er wollte, und in der Nähe eines solchen Menschen konnte man sich so geben, wie man war. Ihr Vater war von ähnlicher Art, ohne die Traurigkeit Andrejs, aber dafür von einer gelassenen Ruhe, die seinem Schwager fehlte. Andrej war derjenige, der sich früher unweigerlich auf dem Boden wiedergefunden und mit den Kindern gespielt hatte. Cyprian hatte ebenso unweigerlich in einer Ecke gesessen und zugesehen, und Alexandra hatte sich beruhigt gefühlt, wenn sie sein Lächeln und das knappe Kopfnicken empfangen hatte, und gewusst, dass er auf sie aufpasste. Alexandra liebte ihren Vater und verehrte ihren Onkel, den Bruder ihrer Mutter. Warum es ihr so schwerfiel, mit ihrem Cousin auszukommen, war ihr selbst ein Rätsel. Bei Wenzel mutmaßte sie in Momenten innerer Einsicht, dass es hauptsächlich Eifersucht war, die sie dazu trieb, ihm immer wieder Seitenhiebe zu versetzen. Er war jemand, der für einen anderen Menschen dessen Ein und Alles darstellte – für seinen Vater. Alexandra wusste, dass ihre Eltern sie nicht mehr hätten lieben können, als sie es taten, aber sie hatten auch sich gegenseitig, und das Ausmaß an Liebe, das sie füreinander empfanden, war ständig fühlbar. Alexandra fühlte sich zuweilen als Außenseiterin inmitten all der Wärme, die man ihr entgegenbrachte. Sie wusste nicht, ob es ihren Brüdern ähnlich ging, und hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als sie zu fragen. Das Seltsamste – und vermutlich ein weiterer wichtiger Grund dafür, sich an Wenzel zu reiben – war, dass sie das Außenseitertum zwar in ihrem Herzen empfand, ihr Cousin es aber ausstrahlte. Es fing schon damit an, dass ein merkwürdiges Geschick dafür gesorgt hatte, dass er keinem ähnlich sah. Alexandra war, wie es hieß, das exakte Abbildihrer Mutter, ihre Brüder kamen nach dem Vater, nur Wenzel kam nach irgendwem, den kein Mensch zu kennen schien. Es passte nicht zusammen. Und das trug weiter dazu bei, dass Wenzel sie irritierte.
Jetzt schlüpfte er an ihr vorbei und trat außer Sicht. Sie war überrascht. Dann sah sie eine Frau über das nasse Pflaster stapfen. Sie warf dem Haus einen schrägen Blick zu. Alexandra nickte und versuchte zu lächeln. Die Frau kniff den Mund zusammen und stapfte weiter. Alexandra hatte sie nicht gekannt, irgendjemand auf dem Weg von hier nach da durch das trübe graue Märzlicht. Wenzel spähte ins Freie.
»Warum versteckst du dich?«
»Ich will nicht, dass mein Vater weiß, dass ich hier bin.«
»Warum denn nicht?«
»Ich habe das Gefühl, dieses Haus hat eine besondere Bedeutung für ihn. Wenn er wollte, dass ich darüber Bescheid weiß, hätte er es mir erzählt.«
»Aber du willst es trotzdem
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