Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
hingegen von Prag, waren die sanft in die Ebene auslaufenden Kuppen dem Auge des Reisenden, der sich zwei Tage lang durch enge Täler, dunkle Wälder, an schroffen Hängen entlang und durch abweisende kleine Dörfer gequält hatte, eine Wohltat.
Oder lag der Grund seiner Zuneigung mehr darin begründet, dass man in Brünn (und fast in der ganzen Markgrafschaft Mähren) beschlossen hatte, sich so lange wie möglich dem Irrsinn des Kampfes zwischen Reformation und Gegenreformation zu verschließen, und sich täglich daran zu erinnern versuchte, dass der Glaube etwas war, das die Menschen erhalten sollte, statt sie umzubringen? Seit Jahren freute er sich auf die erste Reise jedes Jahres, wenn die Luft nach frischer, nasserErde roch, wenn in den waldbeschatteten Ecken nordwärts gewandter Felder noch kleine Schneefelder lagen und die Kühle des letzten Winterhauchs mit der Sonnenwärme im Gesicht wetteiferte. Seit Jahren hatte er diese erste Reise so organisiert, dass der Rückweg ihn durch Brünn führte.
Andrej dachte resigniert daran, dass die Liebe, wenn man sie noch nicht ganz in sich abgetötet hatte, sich immer etwas suchte, woran sie sich hängen konnte. In seinem Fall hatte sie sich nicht mehr an eine Frau gehängt. Es war, als ob alles, was er jemals für eine Frau hatte empfinden können, mit Yolanta gegangen war. Er liebte Wenzel mit der heißen Leidenschaft eines Vaters für seinen einzigen Sohn, und über die Jahre war eine weitere, sanftere Liebe in seinem Herzen aufgegangen, die für die Menschen auf der Mährischen Höhe.
Was Letzteres betraf, so war er an diesem Tag nicht ganz sicher, ob er sich nicht plötzlich in der Rolle des enttäuschten Liebhabers wiederfand.
»Bitte«, sagte Vilém Vlach. »Wir zählen auf Sie.«
»Wer ist ÝwirÜ?«, fragte Andrej.
»Bitte«, sagte Vilém, der weiterhin das Eingangsportal zum Rathaus von Brünn aufhielt und einladende Bewegungen machte. Andrej behauptete seinen Platz vor dem Rathaus und machte nach Kräften den Eindruck eines Mannes, der keinesfalls vorhatte, der Einladung zu folgen. »Der Bürgermeister, der Stadtrichter und Landeshauptmann von Žerotín.«
»Ich denke, da ist genügend Kompetenz vorhanden«, sagte Andrej. Er grinste Vilém an. »Nicht zu reden von Ihnen, lieber Vlach.«
Vilém Vlach war die pragmatische Ergänzung zu der Gruppe von Männern, die die Geschicke in der Markgrafschaft leiteten. Theoretisch trug Kaiser Matthias den Titel und die Verantwortung des Markgrafen von Mähren, praktisch verschwendete er täglich keinerlei Gedanken daran und verließ sich auf seinen Landeshauptmann Karl von Žerotín, derzwar Protestant war, aber zum gemäßigten Lager gehörte und sich im Bruderkampf im Hause Habsburg auf Matthias’ Seite geschlagen hatte. Theoretisch war Olmütz die Hauptstadt der Markgrafschaft, aber der Landeshauptmann zog seit Jahren das lebhaftere Brünn vor, und so waren dessen Bürgermeister und der Stadtrichter ganz natürlich zu seinen Vertrauten geworden. Vilém Vlach war lediglich ein in Brünn ansässiger Kaufmann, dem die halbe Stadt gehörte und vom Rest größere Anteile. Wer sicherstellen wollte, dass bei diversen Entscheidungen alle an einem Strang zogen und die Beschlüsse auch anschließend umgesetzt wurden, kam an ihm nicht vorbei, und die Troika an der Spitze Mährens war pragmatisch genug, dies nicht nur zu erkennen, sondern sich auch danach zu richten. Was Andrej betraf, der in den Jahren nach dem Tod Kaiser Rudolfs und dem Verlust seines Amts als fabulator principatus die Aufgabe übernommen hatte, die nötigen Geschäftsreisen für die Firma »Wiegant & Khlesl« zu übernehmen, so war der äußerlich unscheinbare Vilém einer seiner wichtigsten und angenehmsten Geschäftspartner. Im Augenblick fragte Andrej sich allerdings, ob er nicht in all den Jahren Stück für Stück in ein aus Höflichkeit und lukrativen Geschäftsabschlüssen geknüpftes Spinnennetz gekrochen war, das Vilém Vlach nur zu dem einen Zweck gefertigt hatte, ihn, Andrej, wegen eines Gefallens in Verlegenheit zu bringen. Jedenfalls klebte er jetzt darin fest.
Er war entschlossen, nicht ohne Widerstand gefressen zu werden.
»Es ist die Kompetenz von außen, die zählt«, sagte Vilém.
Andrej hatte die Erfahrung gemacht, dass Vilém Vlach in seinem Meisterfach, dem des Tanzes der schönen Worte um den Busch herum, nicht zu schlagen war. Vlachs Schwäche war höchstens, an diese Art der Musik so gewöhnt zu sein, dass er mit Direktheit
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