Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
Sie geben ja keine Ruhe.«
»Der Stadtrichter würde mir was sagen?«
»Sie haben ja recht, lieber Herr von Langenfels. Wir brauchen Sie als Sündenbock. Es wäre töricht gewesen anzunehmen, dass Sie den Braten nicht riechen würden.«
Andrej hatte mit einem Mal das Bedürfnis, stehen zu bleiben, die Arme vor der Brust zu verschränken und »aha!« zu rufen, aber er kannte die Stimmung, in der Vilém Vlach sich jetzt befand. Wenn er schonungslos ehrlich war, dann stand wirklich etwas auf dem Spiel.
»Wie fast überall im Reich sind auch hier die Bürger und der Adel – mit wenigen Ausnahmen – protestantisch. Wenn es nach ihnen geht, dann muss der Bursche für seine Tat sterben; einen anderen Richterspruch lassen sie gar nicht gelten, oder sie gehen auf die Barrikaden. Wenn wir ihn aber hinrichten, dann laufen die Bauern Sturm, denn diese sind erstens in der Hauptsache katholisch, zweitens betrachten sie den Gefangenen als einen von ihnen, und drittens sieht die katholische Fraktion überhaupt nicht ein, dass man schon wieder vor den Protestanten den Schwanz einzieht.«
»Was hat der Mann denn getan?«
»Die Gerichtsakten sagen, er habe ein junges Mädchen ermordet.«
»Du lieber Gott! Dafür muss er hängen. Das hat nichts mit der Konfession zu tun.«
»Sie sollen raten, dass er eingesperrt wird. Das wird die Protestanten nicht ganz besänftigen und die Katholiken nicht ganz aufregen, und wir können den Status quo aufrechterhalten. Sie sind doch Geschäftsmann, lieber Herr von Langenfels. Wissen Sie, was ein Kompromiss ist? Wenn alle Parteien am Ende unzufrieden sind. Allerdings hält er unser Gleichgewicht aufrecht.«
»Aber der Mann ist doch schuldig.«
»Eben nicht.«
»Was?«
»Sie sollen raten, dass ein Mann für eine Tat eingesperrt wird, die er allem Dafürhalten nach gar nicht getan hat«, erklärte Vilém geduldig. Sie waren jetzt am Ende des langen Ganges angekommen. An der Kopfseite befand sich eine Tür.
»Warum denn, um alles in der Welt?«
»Weil wir ihn sonst hinrichten müssen, um den Frieden zu wahren, und wir der Meinung sind, wenn es schon ein Justizopfer geben muss, dann soll wenigstens kein Blut fließen.« Vilém packte den Türdrücker. »Dieses Arbeitszimmer ist für den Markgrafen reserviert, also für den Kaiser. Hier können wir in Ruhe beraten, ohne Lauscher befürchten zu müssen oder gestört zu werden. Hierher hat sich noch nie eine Menschenseele verirrt.«
Andrej verdrehte die Augen. Vilém hob die Hand.
»Noch etwas«, sagte er. »Wenn wir das Urteil verkünden, werden wir Sie nicht namentlich als Berater erwähnen. Es wird allerdings in den Protokollen stehen, dass uns ein enger Vertrauter von Kaiser Matthias unterstützt hat; als das haben wir Sie verkauft. Da Ihr Gesicht in der Stadt bekannt ist, werden die Leute glauben, Sie wären auch schon früher in kaiserlicher Mission hier gewesen, und das gibt Ihrer ÝStimmeÜ noch mehr Gewicht.«
Andrej holte Luft, aber Vilém schnitt ihm das Wort ab. »Wir haben’s dem Wirt Ihrer Herberge schon gesteckt. Der Mann ist wie eine von diesen Buchdruckmaschinen – was Sie in ihn hineinsagen, repliziert er tausendfach. Benehmen Sie sich also etwas arroganter ihm gegenüber, nicht so, wie es sonst Ihrer Natur entspricht, lieber Herr von Langenfels.«
»Das kostet Sie beim nächsten Handel einen Rabatt von achtzig Prozent«, sagte Andrej.
Vilém zuckte unglücklich mit den Schultern, sagte: »Bitte!«, dann riss er die Tür auf und stürmte voran.
»Das sind die Fakten«, erklärte der Stadtrichter. »Komár ist ein Ziegenhirte. Wenn Sie wissen, wie gut Ziegen auf sich selbst aufpassen können, dann wissen Sie auch, von welchem geistigen Zuschnitt Komár ist. Man geht vermutlich nicht fehl in der Annahme, dass der Ziegenbock ihn als ein wenig zurückgebliebenes Mitglied seiner Herde akzeptiert hat.«
»Jeder Topf findet seinen Deckel«, sagte Andrej und erntete schiefe Blicke dafür.
»An dem Tag vor drei Wochen, um den es geht, gab es eine Jagdgesellschaft, die aus Gästen von Seiner Gnaden bestand.« Landeshauptmann von Žerotín neigte den Kopf. »Die Herren waren im Wald unterwegs, als die Pferde plötzlich unruhig wurden. Sie dachten, es sei vielleicht ein Bär, aber wer hat schon um diese Zeit von einem Bären so nahe bei der Stadt gehört? Die Herren erforschten die nähere Umgebung, machten Lärm, schlugen auf die Büsche, kurz, taten, was sie konnten, aber die Pferde ließen sich nicht beruhigen. Sie wurden
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