Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
dass der letzte Überlebende, Sebastiàn de Mora, Selbstmord begangen hatte, aber weder wäre er allein imstande gewesen, den Austausch vorzunehmen, noch gab es einen offenen Faden, was ihn und seine Kumpane betraf. Es hätte einen geben können, wenn zwei der Zwerge vermisst geblieben wären, doch diese Verbindung hatte mit der grässlichen Entdeckung im Kellergewölbe unter der Ruine der Firma »Wiegant & Wilfing« geendet. Irgendjemand spielte noch eine Rolle, irgendjemand, der es all die Jahre geschafft hatte, vollkommen unter der Oberfläche zu bleiben, irgendjemand, der den Codex aus der Truhe genommen und die beiden erschlagenen Zwerge hineingelegt hatte, irgendjemand, der einen Schlüssel besessen haben musste, den es nicht geben konnte. Cyprian hatte sich schon mehrfach dabei ertappt,wie er daran dachte, dass sie sich vor zwanzig Jahren in Wahrheit mit dem Teufel selbst angelegt hatten und nicht nur mit einem Verschwörerkreis, der die Macht der Hölle für sich hatte gewinnen wollen. Vor allem aber hatte er das ungute Gefühl, dass der geheimnisvolle Jemand, der im Zentrum der Geschichte saß, ihm und seinen Lieben näher war, als alle vermuteten. Ein Teil seiner Reizbarkeit rührte auch daher, dass er in der letzten Zeit zunehmend versucht gewesen war, sich immer wieder über die Schulter umzuschauen – ein Verhalten, so untypisch für einen Menschen wie Cyprian Khlesl, dass es ihn selbst aus der Fassung brachte.
Das Christfest war in einer Art halber Geistesabwesenheit an ihm vorbeigezogen. Er musste sich eingestehen, dass ihm die stärker gewordenen Spannungen zwischen Alexandra und ihrer Mutter nicht aufgefallen wären, wenn Agnes ihm ihre Sorgen nicht eines Nachts gestanden hätte. Sie hatte zu weinen angefangen und sich selbst die Schuld gegeben. Ihre eigene Mutter hatte so lange nur Hass und Verachtung für die junge Agnes empfunden, dass Agnes überzeugt war, diese Gefühle hätten auf sie abgefärbt und sie sei die schlechteste Mutter aller Zeiten. Cyprian hatte sie nur mit Mühe beruhigen können. Danach hatte er Alexandra beiseitegenommen und alles verdorben, denn als sie sich ihm gegenüber stur und trotzig gezeigt hatte, hatte er angefangen zu brüllen. Sie hatte zurückgebrüllt und war türenknallend aus dem Saal gestürmt – und hatte einen Vater zurückgelassen, der sich nun ebenso wie seine Frau an seine Erlebnisse mit seinem Vater zurückerinnerte und sich fragte, ob es jemals möglich war, die Ketten der eigenen Vergangenheit abzustreifen.
Er ließ sich von einem Dienstboten die engen, schneedurchnässten Stiefel von den Füßen ziehen und blickte erstaunt auf, als er gewahr wurde, dass Agnes schon geraume Zeit in der Tür gestanden hatte. Er lächelte. Sie lächelte nicht zurück.
»Komm mit«, sagte sie.
Er folgte ihr ohne Schuhe, im Gehen die nassen Wolllappen abstreifend, die die Kälte nicht merklich abgehalten hatten. Agnes stieg vor ihm die Treppe hoch, und er bemühte sich, sich nicht über ihren knappen Ton zu ärgern. Dass er damit richtiggelegen hatte, erkannte er, als Agnes am oberen Treppenende stehen blieb und sich zu ihm umdrehte. Ihr Gesicht war bleich und zerfiel innerhalb eines Wimpernschlages; sie weinte lautlos. Er nahm sie in die Arme und wiegte sie stumm, Angst im Herzen.
»Sag mir, was wir falsch gemacht haben«, flüsterte sie.
Cyprian hielt sie an den Schultern fest und schaute ihr ins Gesicht. Sie wischte sich die Tränen ab und sah zu Boden.
»Sag’s mir«, wisperte sie kaum hörbar.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte er. Seine Stimme war dunkel und belegt.
»Ich auch nicht.« Agnes schüttelte hoffnungslos den Kopf. »Ich auch nicht.«
»Was ist geschehen?«
Statt einer Antwort drehte sie sich um, nahm ihn an der Hand und führte ihn zu einer Tür. Eine kalte Hand griff in sein Innerstes, als er erkannte, dass es sich um die Tür zu Alexandras Schlafkammer handelte. Er schluckte. Agnes stieß die Tür auf und zog ihn hinein.
Eine schmale Gestalt saß zusammengesunken auf dem Bettrand, das Haar aufgelöst und die Hände im Schoß ineinander verklammert. Cyprian kniff die Augen zusammen. Das Kleid war zerdrückt, aber er erkannte es als das, welches er Alexandra erst vor Kurzem geschenkt hatte. Die junge Frau, die darin steckte, blickte auf, das Gesicht gerötet und geschwollen vom Weinen. Sie war Alexandras Magd.
»Erzähl es noch mal!«, sagte Agnes. Die junge Frau zuckte zusammen und senkte den Kopf.
»Ich kahaaaaann niiicht …«, heulte
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