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Die Wächter Edens

Die Wächter Edens

Titel: Die Wächter Edens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Bellem
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Schwerkraft Paroli bieten, dann stürzte er ab und klatschte auf den Fliesen auf.
    Der zweite Schnitt ging Arienne deutlich leichter von der Hand. Und als sie beide Pulsadern durchtrennt hatte, lehnte sie sich erleichtert gegen die Wand.
    Bald würde sie müde werden, die Augen schließen – und endlich ihre Ruhe finden.
    Etwas in ihr versetzte sie in Unruhe. Ein kleiner Rest ihres Selbsterhaltungstriebs meldete sich zu Wort und versetzte ihre Beine in nervöse Zuckungen. Ein Teil von ihr wollte leben, wollte die Bilder nicht mehr sehen müssen und ein normales Leben führen. Aber seit ihrer Kindheit rannte sie von einem Therapeuten zum anderen und niemand hatte ihr helfen können.
    »Ich kann nicht mehr«, wimmerte sie. Flehte ihre Beine an, sie in Ruhe sterben zu lassen.
    Als ihre Beine ihr nicht gehorchen wollten, begann Arienne die Ritzen in den Fugen zu zählen, um sich abzulenken.
    Als sie die fünfzehnte ausgemacht hatte, setzte die Müdigkeit ein. Sie stemmte sich dagegen, klammerte sich an ihrem Leben fest. »Hilfe!«, schrie sie unbewusst, während sie weiter die Fugenritzen zählte.
    »Siebzehn. Hilfe! … Achtzehn. So helft mir doch, bitte!«
    Arienne war kaum noch bei Bewusstsein, sonst hätte sie über die Absurdität ihres Verhaltens lachen müssen. Sie kämpfte und zählte, kämpfte und zählte.
    Bei zweiundzwanzig gab sie endgültig auf.
    Und plötzlich hatte sie das Gefühl, eine wärmende Hand auf ihrer Stirn zu spüren. »Ich werde dich beschützen«, flüsterte eine ruhige Stimme …
     
    *
     
    Die eindringliche Stimme des Nachrichtensprechers weckte sie mit einem Bericht über das Brandopfer in der U-Bahn-Station. Demnach ging die Polizei noch immer von einem Unfall aus.
    »Die offizielle Version«, spottete Arienne und griff nach ihrem Pillenfläschchen. Vielleicht sollte ich mal mit einem von der Polizei reden , dachte sie. Vielleicht kann man da doch was machen.
    Beim Zurückschlagen der Decke fühlte sie, wie kalt es in der Wohnung über Nacht geworden war. »Scheiße!«, schrie sie frustriert, als ihr auffiel, dass sie am Vorabend nicht geduscht hatte.
    Arienne drehte das Wasser in der Dusche an, in der Hoffnung, dass die Heizung wieder angesprungen war, doch der eisige Wasserstrahl brachte sie jäh auf den Boden der Tatsachen zurück.
    »Es ist gut gegen Orangenhaut. Es ist gut gegen Orangenhaut.« Sie betete es sich wie ein Mantra vor und sprang ins kalte Wasser. »Scheiße!«
    Haarewaschen – Einseifen – Intimpflege – jetzt musste es verdammt schnell gehen, wenn sie nicht erfrieren wollte.
    »Das ist es doch nicht wert«, sagte sie laut, als sie wieder aus der Dusche stieg und sich mit einem weichen Frotteehandtuch abtrocknete. »Und das am Samstagmorgen«, zischelte sie wütend. »Normale Menschen haben da frei.«
    Arienne ging den Tag schon einmal in Gedanken durch. In der Redaktion steht heute nicht viel an. Vielleicht schaffe ich es noch zur Polizei, bevor ich auf den Friedhof gehe.
    In der Küche fand sie noch ein Stück Pizza vom Vortag, das die Mikrowelle rasch wieder in einen genießbaren Zustand brachte. An normalen Samstagen erwartete sie in der Redaktion nicht allzu viel Stress. Der Wochenblick erschien immer donnerstags, darum erfragte Arienne samstags das kommende Kinoprogramm sowie den Spielplan des Theaters. Außerdem verfasste sie kurze Artikel zu kulturellen Veranstaltungen am folgenden Wochenende, um der Masse einen möglichst breiten Überblick zu verschaffen. Ariennemochte diese »Minigeschichten«, wie sie es nannte. Man muss den Menschen mit einer SMS den Besuch eines Museums schmackhaft machen wie in einem Werbetext , dachte sie immer.
    Ein Blick auf die Uhr trieb sie zur Eile an. Ed würde in den nächsten Tagen ihretwegen schon genug Blutdruckmittel schlucken müssen. Sie griff nach einer warmen Jacke und dem Regenschirm. Dann verließ sie die Wohnung.
     
    In der Redaktion war selbst für einen Samstagmorgen erstaunlich wenig Betrieb. Ed saß in seinem Büro, doch er hatte die Tür geschlossen und die Jalousien der Fenster heruntergelassen. Tom war nicht da. Zwei andere Redakteure unterhielten sich entspannt bei einer Tasse Kaffee.
    »Sarah?«, sprach Arienne eine Kollegin an. »Hab ich was verpasst, dass es hier so ruhig ist?«
    Sarah schüttelte den Kopf. »Nee, aber Klaus hat sich krankgemeldet, und Sabine, Paul und Melanie sind seit gestern in Urlaub.«
    »Ed hat tatsächlich drei Redakteuren auf einmal Urlaub genehmigt?«, fragte Arienne

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