Die Wächter Edens
verblüfft.
Sarah kicherte. »Ja, er hatte wohl bei der letzten Betriebsfeier ein wenig zu viel intus. Jedenfalls sind Melanie und Paul nur eine Woche weg, Sabine hat ihren gesamten Jahresurlaub genommen. Sie und ihr Mann machen doch diese Kreuzfahrt über Weihnachten und Neujahr.«
»Stimmt«, erinnerte sich Arienne. »Wow, sechs Wochen auf See. Ich bin neidisch!«
»Jedenfalls hat sich Ed deswegen eingeschlossen«, lachte Sarah. »Er sagte, wenn er das Chaos und die unerledigte Arbeit mit ansehen muss, dann bringt er sich um.«
»So schlimm, ja?«
Sarah nickte. »Ich würde ihn heute lieber in Ruhe lassen.«
»Danke. Dann mache ich schnell meine Arbeit und verschwinde.«
»Das ist sicherlich das Beste, Ari«, sagte Sarah mit einem Augenzwinkern. »Schön unter dem Radar fliegen.«
Arienne schaffte es tatsächlich, ihre Arbeit in weniger als zwei Stunden zu erledigen. Zwei Stunden, in denen sich Ed nicht einmal aus seinem Büro herausbewegte. Hmm, das Redaktionsklima ist gleich viel entspannter, wenn er nicht ständig rummotzt , dachte sie lächelnd. Und ein Blick in die Runde der Kollegen verriet ihr, dass sie nicht als Einzige so dachte. Vielleicht wird Tom ja wirklich mal Chefredakteur, wer weiß.
Sie loggte sich an ihrem Arbeitsplatz aus und schaltete den Bildschirm ab. »So, Kinder, ich mach mich vom Acker. Falls Ed noch mal auftaucht, sagt ihm, dass meine Sachen schon bei Werner zur Korrektur sind, ja?«
Sarah sah kurz von ihrem eigenen Bildschirm auf. »Klar, Liebes, machen wir.«
Arienne überlegte noch einmal kurz, ob sie etwas vergessen hatte, schüttelte dann erleichtert den Kopf und nahm ihre Tasche. »Bis Montag.«
Die Haltestelle der Straßenbahnlinie 3 lag direkt vor dem Westeingang des Friedhofs. Das große gusseiserne Tor, dessen beide Flügel jeweils von einem Kreuz geziert wurden, stand für Besucher Tag und Nacht offen. An der linken Säule hing ein Schaukasten, in dem eine Zeittafel Auskunft über die nächsten Gedenkgottesdienste gab.
Daneben hing ein kurzer Abriss über die Geschichte des Friedhofs und der angrenzenden Kirche. Es war das größte Gotteshaus der Stadt und früher Teil einer Abtei gewesen. Als die Abtei bei einem Feuer zerstört wurde, hatte man sie an einem anderen Ort, außerhalb der rasch wachsendenStadt, neu errichtet. Lediglich die Kirche hatte die Flammen unbeschadet überstanden, und die Bürger hatten das als Zeichen Gottes gesehen. So war die Kirche geblieben und der Friedhof der Abtei zum städtischen Friedhof erweitert worden. Mittlerweile gab es natürlich noch sehr viel mehr Friedhöfe in der Stadt, doch dieser hier war noch immer der größte und auch einer der schönsten.
Es ist gut, dass du hier bist, Paps , dachte Arienne mit einem Lächeln. Einen weniger schönen Ort hättest du nicht verdient.
Arienne schritt durch das Tor und der lockere Kies knirschte unter ihren Schuhen. Sie ging nach rechts, denn zur Linken führte der Weg zu einer Freifläche, die für zukünftige Gräber reserviert war.
Das Grab ihres Vaters lag im Schatten einer Linde. Ein schlichter Stein aus dunklem Granit trug die Inschriften. Arienne kümmerte sich seit einem Jahr um das kleine Blumenbeet, seit ihre Mutter es nicht mehr selbst konnte. Sie musste ja mit ihrem neuen Mann ans Meer ziehen , dachte Arienne missmutig. »Nein, jetzt keine bösen Gedanken.«
Sie säuberte das Beet von ein wenig herabgefallenem Laub, viel mehr gab es im Winter nicht daran zu tun. Dann strich sie wie immer über den Grabstein und versuchte sich das Bild ihres Vaters in Erinnerung zu rufen.
»Hallo, Paps«, begann sie. »Die letzte Woche war wirklich aufregend … na ja, genauer gesagt, die letzten beiden Tage.« Sie vergewisserte sich, dass sie von niemandem belauscht wurde. Aber der Friedhof war fast menschenleer. Die meisten kamen sonntags nach der Messe. Doch Arienne hasste große Menschenaufläufe. Und so konnte sie mit ihrem Vater sprechen, ohne dass Lieschen Müller zuhörte. »Es gab einen weiteren Mord. Tom und ich – ich konnte ihn überzeugen – haben das Band einer Überwachungskamera gesehen. Und die Autopsieberichte der anderenOpfer.« Sie blickte sich erneut verschwörerisch um. »Paps, wir glauben, dass es sich um einen Serienkiller handelt … Ich weiß, was du jetzt sagen würdest, und ja, ich bin vorsichtig. Aber das ist eine Riesenstory, Paps. Und ich habe sie entdeckt!«
Sie machte eine längere Pause, während der sie stumm zu Boden blickte. Sie suchte nach den
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