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Die Wächter Edens

Die Wächter Edens

Titel: Die Wächter Edens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Bellem
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richtigen Worten. »Ich war … Ich bin ziemlich traurig, Paps. Du weißt ja … der«, sie machte beim nächsten Wort kleine Gänsefüßchen in die Luft, »›Unfall‹ vor einiger Zeit.« Als würde sie leibhaftig mit ihrem Vater sprechen, wedelte sie nun abwehrend mit den Händen. »Nicht dass du denkst, ich würde wieder so eine Dummheit machen … aber seit Mama auch noch weggezogen ist, bin ich ziemlich allein. Aber meine Medikamente helfen mir … Leider sehe ich dich auch nicht mehr …«
    Sie las ein Blatt auf, das während ihres Monologs friedlich auf das Grab gesegelt war, und legte es auf den kleinen Laubhaufen, den sie später auf den Kompost werfen würde.
    »Tom hat mich gestern darauf angesprochen. Es fiel mir schwer, darüber zu reden, aber ich hab’s getan. Ich denke, dass ich nur so darüber hinwegkommen kann.« Sie atmete tief durch. »Na ja, das wär’s für heute. Ich komme nächsten Samstag wieder. Hab dich lieb.«
    Ein kühler Wind kam auf und sie drehte ihm den Rücken zu, da er ihr unangenehm ins Gesicht schnitt. Dabei entdeckte sie auf einem benachbarten Grabstein eine Rose, die gerade von eben diesem heruntergeweht wurde. Arienne eilte hin und hob die langstielige rote Blume vom Boden auf, ehe sie weiteren Schaden nehmen konnte. Der Wind hatte sich gelegt und Arienne platzierte die Rose wieder an dem ihr bestimmten Platz.
    Sie konnte jedoch nicht widerstehen und warf einen Blick auf die Grabsteininschrift. »Für eine Liebe, die ewigwährt. N.«, las sie leise vor. Darunter stand noch eine Jahreszahl: 1563.
    »Hmmm …« Wer legt denn heute noch Rosen auf ein so altes Grab? , fragte sie sich achselzuckend. Kein Moos, kein Grünspan verunstaltete den Stein. Und dennoch, etwas störte Arienne am Anblick des dunklen Granits. Er ist kaum verwittert! , erkannte sie. Ein so alter Grabstein müsste doch viel stärker von Wind und Wetter gezeichnet sein. Sie lächelte, denn die Lösung lag auf der Hand. Da pflegt eine Familie seit vierhundert Jahren dieses alte Grab. Sie warf einen Blick zurück auf den Grabstein ihres Vaters. »Vielleicht schaffe ich es ja und man kümmert sich auch so lange um dich.«
    »Nur wenn Ihr Vater ein Heiliger war«, erklang eine sonore Stimme hinter ihr.
    Arienne wandte sich um und blickte in dunkle, onyxfarbene Augen, die wie zwei Perlen in einem Gesicht aus Porzellan saßen. Seidiges, schwarzes Haar umrahmte die feinen Züge, doch sie zeigten keine Regung. Beinahe unwirklich ausdruckslos fixierte sie der Mann mit seinem Blick. »Entschuldigung«, begann sie, »was haben Sie gesagt?«
    »Die Kirche pflegt dieses Grab«, fuhr der Mann fort und trat an den Grabstein heran. Er legte seine rechte Hand sanft, fast zärtlich auf den behauenen Granit und strich langsam darüber.
    Der Wind frischte erneut auf und Arienne zog den Mantel enger um sich. Dieser Mann hatte etwas Faszinierendes und zugleich Verstörendes an sich. Sie blickte nervös auf ihre Uhr und dankte Gott im Stillen dafür, dass es Zeit war, zu gehen. Tom würde schon bald wieder vor ihrer Tür stehen, um das weitere Vorgehen zu besprechen.
    Sie raffte eilig den kleinen Laubhaufen vom Boden auf und warf ihn auf den Kompost neben den Gießkannen. Dann verließ sie den Friedhof schnellen Schrittes, ohnesich noch einmal umzublicken, durch das Tor und erwischte gerade noch die Straßenbahn. Andernfalls hätte sie weitere zwanzig Minuten in der Kälte zubringen müssen. Erleichtert ließ sie sich auf dem letzten freien Sitzplatz nieder, gab ihn aber direkt wieder für eine alte Dame frei, die sich wackelig auf einen Gehstock stützte.
    »Vielen Dank«, keuchte die Alte lächelnd. »Sie sind ein gutes Kind.«
    »Kind?«, schlüpfte es Arienne über die Lippen.
    »Na, ein Kind Gottes, wie wir alle«, erklärte die Alte fröhlich und mit erhobenen Händen.
    Arienne nickte freundlich. Einige der anderen Fahrgäste tauschten vielsagende Blicke aus, die sich offenbar auf den Geisteszustand der Alten bezogen, doch Arienne versuchte sich nichts anmerken zu lassen.
     
    Zu Hause schaltete sie als Erstes den Wasserkocher an und packte zwei Beutel Chai in die Kanne. Sie suchte die Telefonnummer des Hausmeisters raus. Nach dem dritten Klingeln hob er ab. »Ja?«
    Arienne verzog angewidert das Gesicht. Können die Leute sich nicht mit ihrem Namen melden?, dachte sie, beeilte sich aber zu sagen: »Hier ist Schuster aus dem zweiten Stock in der Justusgasse sieben. Ich wollte nur sagen, dass die Heizung mal wieder spinnt.

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