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Die Wächter Edens

Die Wächter Edens

Titel: Die Wächter Edens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Bellem
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verlieren, ließ sie aufhorchen. »Verdammt. Morgen werde ich den Hausmeister anrufen.« Arienne machte sich rasch bettfertig und kuschelte sich unter die wärmenden Decken. Die Heizkörper würden nun langsam ihre Wärme abgeben und bis zum nächsten Morgen wäre die Wohnung wieder völlig ausgekühlt. Wenn die Heizung tagsüber ausfiel, war das nicht weiter tragisch, doch nachts wurde es einfach schon viel zu kalt. Aber eine andere Wohnung konnte sie sich leider nicht leisten.
    Sie versuchte das Gewirr in ihrem Kopf gar nicht erst zu sortieren, denn es verursachte bereits pochende Kopfschmerzen. Sie stellte den Wecker noch um zehn Minuten vor. Bei den zu erwartenden arktischen Temperaturen am nächsten Morgen könnte sie den zusätzlichen Zeitdruck gut gebrauchen.
    Arienne schloss die Augen und war plötzlich wieder mitten in der kleinen U-Bahn-Toilette, auf deren Fußboden man sie vor einem halben Jahr gefunden hatte. Sie wusste noch, wie sie schluchzend die Tür verriegelt hatte. Sie wollte einfach nur allein sein.
    Wollte, dass es endlich aufhörte …
     
    *
     
    Hastig schloss sie die Tür zum Waschraum und lehnte sich schwer mit dem Rücken dagegen. Es war schon wieder geschehen!
    »Warum lasst ihr mich nicht in Ruhe?«, schluchzte sie. Arienne ließ sich langsam zu Boden gleiten. Ihre grauen Turnschuhe quietschten dabei laut auf den polierten Fliesen. Sie ertastete den Türgriff über ihrem Kopf und drückteihn nach oben, um den kleinen Waschraum so abzuschließen.
    Sie weinte und dünner Rotz floss aus ihrer Nase über die Lippen und in den Mund.
    Beim Sprechen warf er kleine Blasen, die sofort wieder zerplatzten. »Es muss endlich aufhören!«
    Sie hämmerte sich mit den Fäusten gegen den Kopf. Mehrmals ließ die Wucht der Schläge ihren Kopf gegen die Tür prallen. Einmal knackte es laut, und sie spürte, dass ihr linkes Jochbein gerade gebrochen war, doch sie schlug weiter.
    »Ich kann nicht mehr.« Diesen Satz flüsterte sie immer wieder.
    Anfangs hatte sie die Bilder nicht einmal bemerkt, doch mittlerweile wusste sie, dass sie schon immer da gewesen waren. Seit ihre Mutter ihr die Nachricht von Vaters Tod überbracht hatte und sie selbst steif und fest behauptet hatte, dass Papa in ihrem Zimmer sitze und mit ihren Bauklötzen spiele.
    Seit jenem Tag war Ariennes Welt nicht mehr dieselbe. Als Kind hatte sie die Bilder nicht begriffen, nicht bemerkt oder rasch wieder vergessen, aber je älter sie wurde, desto schlimmer wurde es.
    Gerade hatte sie auf dem Bahnsteig gesehen, wie einer alten Dame das Gesicht weggeschmolzen war und eine grässliche Fratze sie aus dem hohlen Schädel anstarrte. Es hatte bestialisch gestunken und Arienne hatte aufgeschrien und mit dem Finger auf die Alte gezeigt.
    Doch die Menschen um sie herum hatten sie nur entgeistert angeglotzt, als wäre sie von einem anderen Stern. Dann war sie davongerannt. Kopflos durch die U-Bahn-Station geirrt, bis sie diese Behindertentoilette gefunden hatte.
    »Es muss aufhören«, schluchzte sie wieder.
    Ein Glitzern fesselte ihren Blick und ihre Aufmerksamkeit. In der gegenüberliegenden Ecke des Waschraumes lag eine Glasscherbe. Sie war dreieckig, vermutlich mit scharfen Kanten.
    Sie glitzerte wie der Goldschatz im Hort des Drachen – das Ende des langen Abenteuers des Helden, der verdiente Lohn. Arienne betrachtete die kleine Scherbe, die mit einem Mal das Versprechen von Ruhe und Zufriedenheit in sich trug.
    Sie kroch auf allen vieren darauf zu, ließ dabei jegliche Bedenken wegen der zweifelhaften Bodenhygiene außer Acht. Als sich ihre Finger um das kalte Glas schlossen und sie die scharfen Kanten befühlte, da war es, als griffe sie nach einem Rettungsring, nachdem sie monatelang auf stürmischer See umhergeworfen worden war.
    Sie kauerte sich in die Ecke, erleichtert, dass sie endlich am Ziel war.
    »Es muss endlich aufhören«, flüsterte sie, während sie den Ärmel ihrer Jacke hochkrempelte.
    Den ersten Schnitt zu setzen kostete sie noch einige Überwindung. Sie fürchtete den Schmerz, doch gleichzeitig wusste sie, dass es die einzige Möglichkeit war, ihrem Leid ein Ende zu setzen. Als die Scherbe in ihren Körper eindrang, die Haut zerschnitt und die Adern zerriss, da war es, als würde sich der Druck endlich von ihr lösen. Sie hob die blutverschmierte Scherbe vor ihr Gesicht. Arienne beobachtete, wie sich die rote Flüssigkeit in einem kleinen Tropfen an der unteren Spitze sammelte. Einen kurzen Augenblick konnte er der

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