Die Wächter Edens
wichtig.«
Toni konnte nicht umhin, leise zu kichern. »Wo ist Vincent?«, fragte er nach einem kurzen Rundblick.
Shane setzte ein verschwörerisches Lächeln auf. »Glaub mir, keiner von uns leistet mehr Dienst am Herrn als Vincent. Er braucht das hier nicht, um seine Seele zu retten.«
Toni fiel keine spontane Erwiderung ein, also ließ er es dabei bewenden.
Die Glocke läutete erneut und Pfarrer Markwart betrat den Saal durch die hintere Tür zum Nebengebäude. Er hatte keinen Messdiener, was Toni äußerst ungewöhnlich fand, doch gemessen an den Kuriositäten, die ihm in den letzten Tagen unter die Augen gekommen waren, war dies eine Nichtigkeit.
Nach den üblichen Prozeduren stellte sich Alfred vor seine Schäfchen und begann seine Predigt.
»Immer wieder höre ich, dass die Menschen ihren Glauben an Gott verloren hätten«, begann Alfred, nachdem er eine Stelle aus dem Evangelium gelesen hatte. »Ich aber blicke auf volle Bänke und in leuchtende Augen. Augen, die mehr erfahren wollen. Augen, die glauben wollen.«
Oder Augen, die das Böse erblickten , dachte Toni. Shane lächelte noch immer, doch Noriko saß reglos auf der Bank, die Augen starr auf das Jesuskreuz über dem Altar gerichtet. Es scheint sie nicht kaltzulassen … nicht so wie Shane , überlegte Toni.
»Aber ist man ein gläubiger Mensch, bloß weil man sich sonntagmorgens in die Kirche schleppt?«, stellte Alfred die entscheidende Frage. »Oder ist man nur bequem? Glaubt der Mensch aus Liebe oder weil er das Fegefeuer fürchtet?«
Toni blickte auf und erkannte, dass der Pfarrer ihn direkt ansah.
Alfred fuhr fort: »Wir alle beten täglich die gleichen Floskeln herunter. ›Mein Gott‹ und ›verdammt‹ sind geläufige Begriffe des alltäglichen Sprachgebrauchs.« Er machte eine Pause. »Doch sind wir uns ihrer Bedeutung tatsächlich bewusst?«
Die Reaktionen der Kirchgänger reichten von interessiertem Kopfnicken bis zu völligem Desinteresse, wie Toni bemerkte.
Doch Alfred ließ sich davon nicht beirren und kam nun zum Kern seiner Predigt. »Und dann, wenn uns das Schicksal einmal übel mitspielt, dann rufen wir laut ›Herr, hilf mir!‹. Dann beten wir vielleicht sogar einmal wieder. Und hoffen, dass Er uns erhört. Aber warum sollte Gott uns erhören? Warum sollte Er jemandem Gehör schenken, der Ihn nur dann braucht, wenn er vor einem anscheinend unlösbaren Problem steht?«
Toni nickte unbewusst. Shanes Gedanken waren durch das unverwüstliche Lächeln nicht zu erraten, doch Noriko gehörte eindeutig zur Fraktion der Kopfnicker.
»Wir erwarten Gottes Hilfe, wenn wir nicht mehr weiterwissen. Aber wenn es nach Plan läuft, dann vergessen wir Ihn rasch wieder«, fuhr Alfred mit seiner Predigt fort. Er legte ein versöhnliches Lächeln auf. »Es ist in Ordnung. Denn so hat der Herr uns gemacht. Er hat keine perfekten Wesen geschaffen. Nur perfekte Absichten. Wir vergessen, wir verleugnen,wir hoffen und wir fluchen. Wir sind so, wie Gott und Seine himmlischen Wesen niemals sein können. Wir sind nicht perfekt. Wir sind Menschen. Nur Menschen.«
Toni nickte langsam. Und auch Noriko schien etwas beruhigter zu sein.
»Also tragt die Liebe des Herrn im Herzen. So wie Sein Sohn sie für uns im Herzen trug«, schloss Alfred seine Predigt. »Und vertraut auf den Herrn, denn Er wird euch niemals verlassen. Er hört euch zu, wann immer ihr mit Ihm sprechen wollt.«
Die Messe nahm ihren Verlauf. Als die Kirchgänger, eine Mischung aus Rentnern und Hausfrauen, langsam Richtung Ausgang drängten, fasste Shane Toni am Arm. »Warte.« Erst als sie völlig allein waren, standen sie auf und gingen zur zweiten Seitentür, die in die unterirdische Waffenkammer führte.
Diesmal war es Noriko, die den Netzhautscan durchführen ließ. Toni konnte sich an den Anblick der verschiedenen Schusswaffen einfach nicht gewöhnen und er ließ seinen Blick ziellos umherschweifen. Eine mittelalterliche Kettenrüstung samt Flamberge erregte seine Aufmerksamkeit. »Ist das die Notfallausrüstung?«
Shane folgte seinem Blick und lachte kurz. »Nein, eher ein Andenken an die Anfänge unserer Organisation.«
Toni zögerte einen Moment. »Aber … ihr seid nicht so alt, oder?«
»Na, sieht man das nicht?«, frotzelte der Hüne. »Vor allem Noriko hat sich gut gehalten, findest du nicht?«
»Ha, ha«, schoss die zierliche Frau zurück. »Die Rüstung gehört Vincent.«
»Ein Geschenk?«
Shane zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, wie er sie damals bekommen
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