Die Wächter Edens
ging.
Morgen gehe ich zum Arzt , dachte Cem, während er vor der Kloschüssel stand. Jetzt ist da ja niemand mehr .
In der Hoffnung, eine heiße Dusche würde seine Verspannungen lösen, stellte er das Wasser an. »Für morgen werde ich mir den Wecker stellen«, sagte er laut. Cem lebte schon lange allein, darum führte er hin und wieder Selbstgespräche. Eine Stimme zu hören tat ihm gut, auch wenn es bloß die eigene war.
»Eine heiße Dusche?«, fragte er mit kehliger Stimme. »Das gefällt mir.«
Cem erschrak. Er hatte die Worte nicht ausgesprochen, auch wenn sie aus seinem Mund gekommen waren.
Er wand sich in einem plötzlichen Krampf. Die Haut an seinem Körper schien zum Zerreißen gespannt und er musste sich übergeben. Teerartiges Erbrochenes klatschte in die Duschwanne und ein schwefliger Gestank stach in seiner Nase.
Sechs
T oni hatte in der letzten Nacht kaum Schlaf gefunden. Zu sehr war er ins Studium der »Spielregeln«, wie Shane das Büchlein nannte, vertieft. Und die Schrecknisse, die dort auf wenigen Seiten und in trockener wissenschaftlicher Sprache formuliert waren, raubten ihm die Ruhe … Ja, sie sorgten sogar dafür, dass Antonio Lucina sich fürchtete, die Augen zu schließen.
Da wurde mit der gleichen Nüchternheit, mit der man unter Bekannten vom Wetter sprach, über parasitäre Höllenwesen gesprochen. Manche übernahmen den Körper des Wirts komplett, andere konnten nur die Gedanken des Opfers beeinflussen, ähnlich einer psychischen Störung. Weiterhin standen dort auch alle Informationen zur Abwehr solcher Kreaturen. Das war nicht ungewöhnlich, wenn man einen historischen Text betrachtete, doch hier stand es fein säuberlich übertragen in die Neuzeit. Panzerbrechende Munition, um lebendige Wasserspeier zu töten, Silbergeschosse gegen Werwölfe. Hexen wurde als Sanktion die Zunge entfernt, da sie so keine weiteren Anrufungen mehr vornehmen konnten. Vampire tötete man am effektivsten mit Tageslicht. Und Dämonen … man musste den Wirtskörper zerstören, um die Essenz mit geweihtem Wasser zu bannen.
Am meisten verwunderte ihn jedoch, darin etwas über gefallene Engel zu entdecken. Die Passage überraschte ihn so sehr, dass er sie laut vorlas: »Ein Engel wird von Gott erschaffen und strahlt dessen Licht aus. Normalerweise körperlos, werden die himmlischen Streiter manches Malausgesandt, um eine Aufgabe zu erfüllen. Dann schenkt Gott ihnen eine menschliche Hülle, damit sie unter den Unwissenden wandeln können. Ist ein Engel auch unsterblich, so kann sein Körper dennoch gebrochen werden (vergleiche auch die Bannung eines Dämons, Absatz eins folgende). Weiterhin gilt es zu beachten, dass ein Engel sich auch in Menschengestalt mit göttlicher Kraft bewegen kann. Dies macht gefallene Engel zu besonders gefährlichen Subjekten. Jede Begegnung mit einem Gefallenen ist sofort zu melden.« Kopfschüttelnd klappte er das Buch zu.
Toni konnte die Dinge noch immer schwer glauben, die er da las, doch nach seinen letzten Erlebnissen hatte er die verstörende Gewissheit, dass es die Wahrheit war, auch wenn sein Geist sich noch so vehement dagegen sträubte. Noch immer wartete ein Teil von ihm darauf, aufzuwachen und in Rom in seinem Bett zu liegen.
Doch er war nicht in Rom. Und er war nicht länger der Schweizergarde unterstellt. Wie kann man in Rom von diesen Dingen wissen und nichts unternehmen? , nagte es unentwegt an ihm.
Als die Kirchenglocke zum Gottesdienst rief, war Toni mehr als erleichtert. Endlich etwas, was er kannte, was für ihn greifbar war.
Die kleine Kirche bot nicht viel Platz für Menschen der Gemeinde, doch sie stand in einem abgelegenen Wohnviertel und war mehr ein Relikt vergangener Tage. Die große katholische Kirche am Friedhof war der Sammelpunkt der Gläubigen.
Toni erspähte Shane und Noriko in der letzten Bank und setzte sich neben sie.
»Es ist allein Alfred zu verdanken, dass in dieser Kirche noch ein Gottesdienst gefeiert wird«, flüsterte Shane ihm zur Begrüßung zu. »Der Bischof würde uns lieber komplettin eine Festung verwandeln. Aber Alfred sagt, dass gerade hier die Nähe Gottes spürbar sein muss … Und ich denke, er hat verdammt noch mal recht.«
»Shane«, seufzte Noriko, »kannst du bitte wenigstens hier nicht fluchen?«
Shane warf ihr sein unverwüstliches Lächeln entgegen. »Denkst du wirklich, dass es Ihm so wichtig ist, wie ich rede?«
Noriko dachte kurz über ihre Antwort nach. »Nein, sicher nicht, aber mir ist es
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