Die Wächter Edens
ihn jemand finden«, sagte Noriko leise.
In ihrer Stimme glaubte Toni einen Anflug von Bedauern zu erkennen. Vielleicht hat sie sich noch einen Rest Menschlichkeit bewahrt , dachte er.
Vincent wandte sich bereits zum Gehen. »Wir haben keine Zeit.«
»Er ist doch kein Müllsack, den man vergessen hat!«, protestierte Toni, doch Vincent blickte ihm fest in die Augen.
»Doch, das ist er. So wie jeder Körper, sobald die Seele ihn verlassen hat. Ich habe diesem Menschen gerade die Ewigkeit an Gottes Seite ermöglicht. Sein Körper ist unwichtig.«
Sie trieben Toni mehr oder weniger vor sich her, als sie die Wohnung verließen. Shane zog ihn regelrecht zum Van zurück. Toni ließ es geschehen, starrte Hilfe suchend zum Himmel empor. Gott , dachte er. Wenn du da oben bist, dann zeige mir den richtigen Weg. Für einen Moment geschah nichts, doch dann öffnete sich ein Spalt in der Wolkendecke, und im Mondschein glaubte Toni eine Gestalt zu erkennen, die auf dem gegenüberliegenden Hausdach saß und sie beobachtete. Er war jedoch zu perplex, um die anderen darauf aufmerksam zu machen, und außerdem hatte ein ganz anderer Gedanke von jedem seiner Sinne Besitz ergriffen.
Als die Schiebetür sich schloss, musterte er den blonden Mann eindringlich von der Seite. Was hat der Dämon zu ihm gesagt? , rief er sich die Worte in Erinnerung. »Engel«, flüsterte er.
Vincent verzog die Lippen zu einem schmalen Lächeln.
Sieben
S ie musste ihre Augen nicht öffnen, um zu wissen, dass er da war. Und ihre Augen hätten ihr in der vollkommenen Finsternis ihres Schlafzimmers ohnehin keinen Dienst erwiesen. Es war, als flirrte die Luft wie an einem heißen Tag. Ihre Nackenhaare richteten sich auf, als würde sie ins Maul einer wilden Bestie blicken, und ein seltsames Gefühl der Ruhe überkam sie. Dass sie all diese Empfindungen auf einmal spürte, verriet ihr, dass sie einen ganz bestimmten Besucher in ihrem Schlafzimmer hatte.
Samira richtete sich langsam auf. »Was willst du?«, fragte sie in die Dunkelheit hinein.
»Reden«, sagte eine warme Stimme.
Samira atmete erleichtert auf. »Nathaniel?« Sie griff neben sich und schaltete die kleine Nachttischlampe ein. Die Energiesparbirne brauchte eine Sekunde bis zur Zündung, dann hüllte sie den kleinen Raum in gedämpftes Licht.
Nathaniel stand am Fußende des Betts, mit dem Rücken zum Fenster. Die Rollläden waren heruntergelassen wie in jedem Raum der Wohnung. Und Samira war sich sicher, dass sie die Wohnungstür gut verschlossen hatte. Doch ebenso wusste sie, dass nichts von alledem Nathaniel aufhielt.
Der Engel stand einfach nur da, das schwarze Haar zu einem dünnen Pferdeschwanz gebunden, den Kragen des dunklen Mantels hochgeschlagen und die Arme vor der Brust verschränkt. Seine Züge zeigten ein müdes Lächeln, der einzige Gesichtsausdruck, den sie neben ausdruckslosem Starren jemals bei ihm gesehen hatte.
»Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich jemals wiedersehe«, gestand sie. »Hat Vincent dich noch nicht gefunden?«
Nathan zuckte die Achseln, wobei er sich eigentlich kaum bewegte. Es war mehr die Andeutung einer Bewegung, die Idee davon, die in Samiras Kopf seine Gebärde lebendig wirken ließ. Er versuchte sich so menschlich wie möglich zu geben, doch er konnte niemals so ungelenk sein wie ein bloßer Mensch, das wusste sie. Alles an ihm war perfekt, und je länger sie ihm in die schwarzen Augen blickte, die wie kleine Onyxperlen glänzten, desto mehr und mehr vergaß sie die Zeit um sich herum.
Samira schüttelte heftig den Kopf. »Also, warum bist du hier?«
»Es werden mehr«, sagte Nathan.
Sie wusste, dass er mit nahezu monotoner Stimme sprach, dennoch konnte sie die himmlischen Chöre in sich spüren. Seine Stimme durchdrang jede Zelle ihres Körpers und versetzte sie in Schwingung. Ein Wort von ihm konnte sie in die höchsten Sphären heben oder für immer in den Abgrund stürzen. »Dämonen?«
»Ja.«
»Will Luzifer die Welt der Sterblichen angreifen?«
Wieder zuckte Nathan die Achseln. »Ich weiß es nicht. Darum bin ich hier.«
»Ich kann für dich nicht in die Hölle blicken … nicht noch einmal«, sagte Samira traurig. »Noch ein Blick in Luzifers Reich und meine Seele ist verloren, das weißt du!«
Nathan nickte. »Ich will auch nicht, dass du hinabblickst.«
Samira riss erschrocken die Augen auf. »Du willst es selbst tun?«
Nathan nickte. »Ich brauche Antworten.«
»Aber … aber ist es dir nicht von Gott verboten?«
»Gott hat
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