Die Wächter Edens
aus Quark, Obst und Cornflakes, dann schnappte sie ihre Tasche und verließ die Wohnung.
Auf der Straße begegnete sie immer wieder vereinzelt Menschen, die vermutlich gerade auf dem Weg zur Arbeit waren. Hin und wieder grüßte Arienne sie mit freundlichem Lächeln, auch wenn sie sie nicht kannte. Jeder Tag sollte mit einem Lächeln beginnen , dachte sie. Seit letzter Nacht erschien ihr dieser Leitspruch wichtiger denn je. Tom hatte so viel Angst , erinnerte sie sich. Und dann diese Lichtgestalt … einfach vom Auto mitgerissen … Wie geht das? Wie konnte der Fahrer das nicht bemerken? , begannen ihre Gedanken wieder um die letzte Nacht zu kreisen.
Sie schüttelte energisch den Kopf. »Nicht jetzt!«, befahl sie sich selbst.
Zur Ablenkung legte sie ihre Kopfhörer an und schalteteden MP3-Player an. »My Sacrifice« von Creed war der erste Song, den der Zufallsgenerator für sie auswählte.
Sie musste nicht lange auf die Bahn warten und fand darin rasch einen freien Platz. Sie beobachtete aus dem Augenwinkel einen alten Mann, der unter seinem Mantel einen Anzug trug und einen kleinen Blumenstrauß in der linken Hand hielt.
Der Alte fuhr sich mit dem Finger unter den Hemdkragen und verschaffte sich ein wenig mehr Luft. Seine Krawatte schnürte ihm den Hals ein, doch er dachte nicht daran, den Knoten zu lockern. Er nahm den Hut kurz vom Kopf und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Sein graues Haar war glatt nach hinten gekämmt und wirkte ein wenig fettig, was vermutlich von einer dicken Schicht Pomade herrührte.
Arienne bemerkte zu spät, dass er sie dabei ertappte, wie sie ihn anstarrte. Doch der Alte schenkte ihr ein Lächeln, das das Fehlen mehrerer Zähne offenbarte.
»Verzeihung«, sagte Arienne und blickte verlegen zu Boden.
»Aber nicht doch, junge Dame«, entgegnete der Alte mit heiserer Stimme. »Sie haben mir doch nichts getan.«
Arienne schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, aber es ist nicht höflich, so zu starren.«
»Solange die Leute nur gucken, machen sie nichts Schlimmeres, oder wie sagt man?«
Nun musste sie lachen, was auch das Grinsen des Alten breiter werden ließ. »Darf ich fragen, wohin Sie fahren?«
»Meine Frau hat heute Geburtstag«, sagte er lächelnd. »Ich will sie mit ein paar Blumen überraschen.«
»Da wird sie sich sicher freuen«, antwortete Arienne, ohne sich weitere Gedanken zu machen.
Erst als der Alte mit ihr an derselben Haltestelle ausstieg,dämmerte ihr die traurige Wahrheit. Sie hielt den Alten kurz zurück, bevor er durch das Eingangstor des Friedhofs verschwand. »Verzeihen Sie mir«, sagte sie. »Ich … ich hatte keine Ahnung, dass Ihre Frau …«
Er lächelte sie noch immer freundlich an. »Aber weshalb denn so traurig?«
Arienne gestikulierte nervös. »Ich weiß nicht, ich meine … ich wollte Sie nicht … Das ist sicher kein leichter Tag für Sie …«
Der Alte legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Keine Sorge. Wissen Sie, der Tod ist nicht das Ende. Ich werde meine Frau wiedersehen.«
»Was macht Sie da so sicher?«
Der Alte tippte sich mit der Hand gegen die Brust. »Ich weiß es einfach … hier drin. Und bis ich meine Frau wiedersehe und ihre Stimme hören kann, hört sie jetzt mir zu.« Er trat einen Schritt näher und schirmte den Mund mit der Hand ab. »Wissen Sie … sie hat immer geplappert wie ein Wasserfall.« Er musste kichern wie ein Schuljunge und Arienne stimmte erleichtert mit ein. »Warum sind Sie hier?«, fragte er schließlich.
»Ich besuche meinen Vater«, sagte Arienne.
Der Alte nickte ihr aufmunternd zu. »Machen Sie sich keine Sorgen. Es geht ihm gut. Und eines Tages, da sehen Sie ihn wieder.« Er zog eine Blume aus dem Strauß und überreichte sie ihr mit einem Lächeln. »Legen Sie die auf sein Grab, er wird sich freuen.«
Arienne nahm die Blume, eine Tulpe, dankend entgegen und verabschiedete sich freundlich von dem Alten.
Wo du wohl herkommst? , fragte sie sich mit einem Blick auf die leicht orangefarbene Blüte in ihrer Hand. Du hast sicher einen weiten Weg hinter dir.
Am Grab ihres Vaters wischte sie mit einem Handschuhden Schnee vom Grabstein, dann steckte sie die Tulpe in den frischen Schnee, der das Grab bedeckte. Sie las die Inschrift auf dem Grabstein leise vor. »In deine Hand, Herr, legen wir unseren geliebten Ehemann und Vater.«
Arienne unterdrückte die aufkommenden Tränen. »Du fehlst mir so sehr«, sagte sie dann. »Alle Menschen sagen mir, dass wir uns eines Tages
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