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Die Wächter Edens

Die Wächter Edens

Titel: Die Wächter Edens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Bellem
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Tee. Wenn er genau darüber nachdachte, war sich Alfred nicht einmal sicher, ob Vincent überhaupt jemals etwas trank. Er goss den Rest des heißen Wassers in die Tasse und hängte einen Beutel Earl Grey hinein.
    »Wir müssen den Menschen einen Teil der Wahrheit verschweigen, um sie vor den Konsequenzen zu schützen«, fuhr er fort. »Wir …« Er brach mitten im Satz ab und musterte den hölzernen Jesus. Fast schien es ihm so, als hätte sich der Blick der Schnitzerei verändert; als wäre aus einem gütigen Lächeln eine stumme Anklage geworden.
    »Wir sind auf dem falschen Weg!«, hauchte Alfred plötzlich. »Die Menschen waren schon immer schwer zu überzeugen. Und dennoch bist du ihnen offen und ehrlich gegenübergetreten.«
    Er schwenkte den Teebeutel noch ein wenig, dann zog er ihn aus der Tasse. Zwei Stück Kandis rundeten den Geschmack perfekt ab. Das Klimpern seines Löffels zerriss die Stille der Wohnung.
    »Wir dürfen ihnen die Entscheidung nicht abnehmen, ob sie ihr Leben und ihr Herz Gott verschreiben oder nicht.« Er schüttelte den Kopf und blickte schamerfüllt zu Boden. »Du bist für deine Überzeugungen gestorben. Und für unsere Sünden.« Er blickte wieder zum Jesuskreuz empor, diesmal mit flehendem Blick. »Du hast dich aus reiner Nächstenliebe für uns geopfert! Und wir opfern die Menschen wie Lämmer. Wir haben versagt.«
    Er lehnte sich wieder in den Sessel zurück. »Antonio hat recht«, erkannte er. »Seine Seele ist noch so rein. Er ist noch nicht von unserer Aufgabe verblendet …«
    Ist es nicht das, was die Menschen auszeichnet? , dachte er. Die Möglichkeit, ihr Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten? Ihr freier Wille? Ist es nicht das, was Gott für uns wollte?
    Er stand auf und kniete sich mit gefalteten Händen vor das Jesuskreuz. »O Herr, gib mir die Kraft, das Richtige zu tun. Gib mir die Weisheit, die Wahrheit zu erkennen. Und gib mir die Ruhe, nach der meine Seele verlangt.«

Siebzehn
    A rienne hatte nach ihrem Albtraum kaum noch Schlaf gefunden. Zu viele Dinge kreisten in ihrem Kopf, erzeugten beinahe schon ein Summen wie ein ganzer Bienenschwarm. Sie ging wie ferngesteuert ins Bad und unter die Dusche. Arienne bemerkte nicht einmal, dass das Wasser eiskalt war, so tief war sie in ihren Gedanken gefangen.
    Papa! , dachte sie unentwegt. Wie kann es sein? Wie konntest du dort sein? Bin ich so verrückt, dass selbst nach Jahren der Therapie die Albtraumbilder nicht verschwinden?
    Arienne hatte neben der Schulmedizin so ziemlich jedes Mittel versucht, um ihre Halluzinationen zu erklären. Séancen, Rückführungen – sogar einige Drogen hatte sie probiert. Doch anscheinend gab es keinen Ausweg.
    Im Schlafzimmer klingelte ihr Handy und riss sie zurück in die Wirklichkeit. Arienne hatte keine Uhr, auf die sie schauen konnte, doch sie war sich sicher, dass sie heute nicht verschlafen hatte. Und mit einem Mal bemerkte sie, wie eiskalt das Wasser war, und stieß einen hohen Schrei aus.
    »Fuck!« Sie sprang aus der Dusche und hüllte sich sofort in den Bademantel. Ein Blick auf den Radiowecker im Bad bestätigte ihr Gefühl, rechtzeitig aufgestanden zu sein. Tom würde sie erst in einer Stunde abholen. Daher ließ sie sich Zeit und trocknete sich ab, bevor sie ins Schlafzimmer ging und ihr Handy kontrollierte.
    Sie hatte eine Nachricht von Tom in der Mailbox.
    Er klang schrecklich krank. Hustete und war heiser. »Ari … ich muss dir heute absagen … Ich schaff es einfach nicht.«
    Hm, dann muss ich wohl in die Redaktion gehen , dachte sie, während Tom eine Pause machte, um zu husten, was fast so klang, als würde er sich die Lunge auskotzen.
    »Mach dir ’nen schönen Tag«, fuhr Tom unterdessen fort. »Ich habe Ed gesagt, dass wir zusammen an einer Sache arbeiten. Er erwartet dich heute also nicht in der Redaktion.«
    Arienne hörte die Nachricht ein zweites Mal ab und überlegte, ob sie Tom anrufen sollte. Nein, vermutlich liegt er im Bett und holt ein wenig Schlaf nach , entschied sie.
    Mittlerweile war sie wieder aufgetaut und angezogen. »Was mache ich jetzt mit dem Tag?«, fragte sie laut und erhoffte sich für einen kurzen Moment eine Antwort aus dem Dunkel des Wohnzimmers, die nicht kam.
    Arienne schaltete das Licht an und zog einen der Rollläden hoch. Es war erst kurz nach sieben Uhr und draußen ging gerade die Sonne auf.
    Ich könnte Papa besuchen gehen , setzte sich plötzlich ein Gedanke in ihr fest. Rasch machte sie sich ein dürftiges Frühstück

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