Die Wächter Edens
mehr sicher!«
Vincent stand langsam auf. »Aus diesem Grund werde ich von jetzt an hierbleiben und den Baum bewachen.«
Der Engel wollte gerade gehen, als Toni aufsprang und sich ihm in den Weg stellte. »Und warum gehen wir nicht einfach? Was zwingt uns denn hierzubleiben?« Tonis Knie waren wie Wackelpudding, doch er gab dem Engel keinen Zentimeter nach. Was mache ich hier? , rauschte ein Gedanke in seinen Ohren. Er versuchte Vincents Blick standzuhalten, dabei wusste er, dass der Engel seine Angst immer würde sehen können, egal wie gut er sie auch kaschierte. Vincent würde seine Fassade durchschauen.
Der Engel betrachtete ihn eine Weile mit seinem ausdruckslosen Gesicht, als läse er Tonis Gefühle und Gedanken. »Niemand zwingt dich hierzubleiben, Antonio.« Seine Stimme vibrierte in Tonis Eingeweiden, so als würde ein weiterer Ton sie explodieren lassen, und der junge Mann wusste, dass seine Worte in Wahrheit eine tödliche Drohung waren.
»Und was zwingt dich?«
Vincent fixierte ihn noch einen schier endlos erscheinenden Moment mit seinen ausdruckslosen Augen, dann ging er an Toni vorbei und verließ die Wohnung. In der Tür blieb er noch kurz stehen. »Du gehst morgen zu ihr, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Alfred, der offensichtlich wusste, worum es bei der Frage ging.
Toni starrte noch auf die Tür, durch die der Engel verschwand, unfähig, sich zu bewegen oder etwas zu sagen.
»Was sollte das denn?«, fragte Shane und durchbrach das unangenehme Schweigen, das sich über sie gelegt hatte.
Toni zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht«, gestand er. »Ich denke einfach, dass wir sicherer wären, wenn wir die Stadt verließen.«
Shane nickte übertrieben. »Weglaufen. Guter Plan. Hat auch genau wie oft in der Vergangenheit funktioniert?«
Toni schnaubte wütend. »Wir bringen hier viele Menschen durch unsere Anwesenheit in Gefahr!«
»Das tun wir überall«, hielt der Hüne dagegen. »Nathan wird uns jetzt bis in alle Ewigkeit jagen, Toni. Er wird nicht ruhen, ehe er den Lebensbaum bekommen hat.«
»Nathan hat sich von Gott abgewandt«, sagte Noriko leise. »Und er hat gesündigt. Er ist ein Gefallener. Ein Diener Luzifers.«
Toni atmete tief durch. Die nächsten Worte könnten ihn in Lebensgefahr bringen, dessen war er sich bewusst. Aber er musste diese Dinge endlich aussprechen. »Muss er denn wirklich zu Luzifer gehören? Beschwört er denn wirklich die Dämonen?«
Shane lehnte sich im Sofa zurück und musterte Toni. »Willst du damit sagen, dass Vincent lügt?«
»Nein, aber vielleicht irrt er sich?«
»Engel sind unfehlbar«, sagte Shane bestimmt.
»Ist das so?« Er schüttelte traurig den Kopf. »Wie kann es dann Gefallene geben?«
Der Hüne wollte etwas erwidern, doch er kam nicht über einen erhobenen Zeigefinger hinaus.
»Und wenn wir die Frau finden, was dann? Was geschieht mit ihr, wenn sie wirklich die Wahrheit über uns herausgefundenhat? Wird Vincent uns dann auch den Himmel im Voraus garantieren, wenn wir sie nur töten?«
Shane sprang aus dem Sessel und baute sich drohend vor Toni auf. »Wir beschützen die gesamte Menschheit! Nicht Einzelne von ihnen, die sich zu weit aus der schützenden Höhle der Unwissenheit gewagt haben!«
»Das ist kein Schutz«, hielt Toni dagegen. »Das ist Gefangenschaft. Wir geben ihnen nicht einmal die Chance, es zu verstehen.«
»Ich denke, wir sollten alle schlafen gehen«, versuchte Alfred die Situation zu entschärfen. Der Pfarrer war aufgestanden und schob sich zwischen die beiden Streithähne. »Morgen werden wir ausgeruht über eine Lösung nachdenken.«
*
Als Alfred wieder allein in seiner kleinen Wohnung war, setzte er sich in den Sessel und betrachtete das Jesuskreuz an der Wand. »Hast du jemals gezweifelt?«, fragte er den hölzernen Messias.
Er griff nach seiner Teetasse, doch darin stand nur noch eine traurige, kalte Pfütze und er stellte sie wieder auf dem Untersetzer ab.
»Man muss versuchen Vincent zu verstehen«, sagte er dann. »Er versucht nur, das Versprechen deines Vaters zu bewahren.« Alfred würde in Jesus immer Gottes Sohn sehen, auch wenn Shane die Theorie vertrat, dass er bloß ein Erleuchteter gewesen war, der seine Predigten der damaligen Zeit angepasst hatte.
»Es ist nicht so einfach«, fuhr Alfred fort. »Die Menschen sind heute nicht mehr bereit zu glauben.«
Er nahm eine unbenutzte Tasse vom Tablett – sie war eigentlichfür Vincent gedacht gewesen, doch er trank so gut wie nie
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