Die Wächter Edens
seufzte er. »Ich wünschte, ich könnte es Ihnen erklären …«
»Ja, das sollten Sie sich schon mal überlegen, denn ich werde die Sache an die Öffentlichkeit bringen.« Mit jedem Wort fand sie mehr zu ihrer inneren Stärke zurück. »Und dann werden wir sehen, wie christlich es im Knast für euch Mörder wird.«
Alfred nickte. »Es ist Ihr gutes Recht … doch Sie werden nichts ändern, glauben Sie mir. Gegen diese Dinge sind Sie machtlos.«
»Bitte, dann erklären Sie es mir«, forderte sie ihn auf. »Ich habe den ganzen Tag Zeit.«
»Glauben Sie an den Himmel und an Gott?«, fragte er sie direkt.
Arienne dachte kurz über eine Antwort nach, dann zuckte sie ehrlich mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.«
Alfred neigte lächelnd den Kopf zur Seite. »Bevor Sie das nicht wissen, können Sie niemals verstehen, was gerade geschieht.« Er legte ihr fürsorglich die Hand auf die Schulter. »Der Glaube ist erst der Anfang.«
Sie gingen wieder zurück, und Alfred ging zu dem Grab, auf das Arienne kürzlich aufmerksam geworden war.
»Ich pflege ihr Grab nun schon seit zwanzig Jahren.«
»War sie ein Mitglied der Kirche?«, fragte sie ihn.
Alfred seufzte. »Sie war …« Er blickte Arienne in die Augen. »… Sie war wie Sie. Auch sie sah das Licht.«
»Das Licht? Was wissen Sie darüber?«
Er dachte einen Moment über seine Antwort nach, dann schüttelte er den Kopf. »Bitte, Sie sollten gehen. Gehen Sie fort.« Sein Blick wurde eindringlicher. »Sie sind in großer Gefahr!«
Arienne schnaubte wütend. »Nein! Ich lasse mich nicht einschüchtern!« Sie faltete die Hände. »Bitte, Sie habenmich nicht ohne Grund darauf aufmerksam gemacht. Sie wollen mir doch etwas sagen!«
Alfred wand sich wie ein Fisch. »Nein, ich habe schon zu viel gesagt. Er wird denken, ich hätte ihn verraten! Es ist Zufall, dass wir uns hier begegnen. Und ich will Sie nur warnen.«
Arienne änderte die Taktik. Sie konzentrierte sich auf das Grab, um so vielleicht mehr Informationen über die Mörder zu bekommen. »Kennen Sie ihren Namen? Den Rest finde ich selbst raus.«
Alfred seufzte. »Celine. Ihr Name war Celine. Und nun gehen Sie.«
Arienne schüttelte ungläubig den Kopf. »Das kann kein Zufall sein …«
»Möge Gott Sie schützen«, sagte der Pfarrer. »Möge Gott Sie schützen.«
Arienne folgte seinem Rat und verließ den Friedhof. Sie stieg in die nächste Straßenbahn und fuhr zurück zu ihrer Wohnung. Sie versuchte es den ganzen Weg über zu vermeiden, an das Gespräch zu denken. Erst als sie die Sicherheit ihrer eigenen Wohnung erreicht hatte, ließ sie den Gedanken in sich freien Lauf.
Celine! Wie kann das sein? Ich sehe eine Lichtgestalt, so wie ich damals Papa gesehen habe. Und sie nennt mich beim Namen dieser toten Frau … Oder handelt es sich um eine andere Frau? Eine Verwechslung? Wie kommt der Name in meinen Kopf ?
Sie fand keine Antworten auf die Fragen, also entschied sie sich, Tom anzurufen. Krank oder nicht, ich brauche seine Hilfe.
Nach dem dritten Klingeln nahm er ab. »Tom? Ich bin’s, Ari. Wie geht es dir?«
»Besser.«
Seine Stimme klang noch immer heiser, fast wie ein Kettenrasseln, aber er musste nicht mehr husten.
»Es tut mir leid, dass ich dich störe, aber ich muss mit dir sprechen.«
»Was ist denn?«
Sie druckste kurz herum. »Kannst du herkommen?«
Er dachte einen Moment nach. »Also schön. Aber nur, wenn du Tee kochst. Ich bin in dreißig Minuten da.«
*
Alfred betrat die Kirche mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Er wusste in seinem Herzen, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Die junge Frau zu warnen war nach allen Prinzipien des christlichen Glaubens richtig. Und hatte er sein Leben nicht in den Dienst am Herrn und unter das Zeichen der Nächstenliebe gestellt?
Doch Vincent würde das womöglich anders sehen.
Der Engel erwartete ihn bereits. Er stand vor dem Altar, vor dem Jesuskreuz, wie ein Torwächter. Seine blonden Haare wurden vom Kerzenschein in rötlichen Schimmer getaucht. Und der Luftzug der geöffneten Tür ließ sie leicht wehen wie eine Flammenmähne.
Alfred bemühte sich, seinem Blick standzuhalten, doch selbst über die Distanz des gesamten Kirchensaals hinweg spürte er ihn wie zwei glühende Nadeln, die sich in seinen Geist bohrten.
»Du bist ein schlechter Lügner«, sagte Vincent tonlos. »Eine Eigenschaft, die ich sehr an dir schätze, denn sie ist selten heutzutage.«
»Ich habe nichts gesagt«, entgegnete
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