Die Wächter Edens
dachte, du hättest gar nichts von der Unterhaltung mitbekommen …« Sie schüttelte den Kopf. »Egal, ich … Gott, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, das klingt zu verrückt.«
»Versuch es einfach. Ich verspreche dir, ich werde dich überraschen.«
»Also schön.« Sie atmete tief durch. »Kurz bevor du wieder auf die Straße kamst, ist da oben etwas … oder jemand … aus dem Fenster geflogen und vor mir auf dem Bürgersteig gelandet.«
»Tot?«
»Nein … es war auch kein Mensch … es war … Licht.«
»Licht?«
»Ja. Bitte halte mich nicht für verrückt. Es war eine Lichtgestalt. Und sie sprach zu mir. Sie nannte mich Celine. Dann wurde die Gestalt von einem Wagen erfasst und fortgerissen.« Sie stand auf und lief im Zimmer umher. Plötzlich fiel ihr Traum ihr wieder ein. »Und heute Nacht habe ich davon geträumt. Die Gestalt war wieder da, nannte mich aber bei meinem Namen und redete von einem Schlüssel …« Ihre Gedanken überschlugen sich, brachten sie wieder zu letzter Nacht und dem vorbeirasenden Wagen zurück. »Das muss man sich mal vorstellen. Der Fahrer hat nichts bemerkt und ist einfach weitergefahren.«
»Er hat vermutlich nicht gesehen, was du gesehen hast«, sagte Tom nüchtern.
»Willst du damit sagen, ich habe mir das alles nur eingebildet?«
»Nein, ganz und gar nicht. Aber nicht alle Menschen können die Dinge so erkennen wie du.« Er machte eine Pause und kicherte leise. »Es wundert mich, dass du mich nicht durchschaut hast.«
Arienne warf ihm einen verwirrten Blick zu. »Was redest du da? Dich durchschauen?«
Tom stand auf und trat ans Fenster. »Sag, nimmst du bewusstseinsverändernde Medikamente? Vielleicht Mittel gegen eine Depression?«
»Ich kann dir nicht folgen …«
Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Doch es war keines wie sonst auch, es hatte nichts von der Fröhlichkeit des älteren Kollegen. Vielmehr spiegelten sich darin Verschlagenheit und Schadenfreude. »Die beiden Kontrahenten heißen Nathaniel und Vincent«, sagte Tom gelassen.
»Woher weißt du das?«
Er kicherte. »Jeder von uns kennt ihre Namen. Vincent, der Wächter. Und Nathaniel, der Gefallene. Ich frage mich, welchem von ihnen du begegnet bist.«
»Tom, du sprichst in Rätseln.«
Er stieß erneut das süffisante Lachen aus. »Du würdest dich wundern, wie viele Dinge aus deinem Leben für mich plötzlich einen Sinn ergeben, wo du noch im Dunkeln tappst.«
Ein kalter Schauer überkam sie plötzlich. Kroch ihr Rückgrat entlang und brachte sie leicht zum Zittern. Eine undefinierbare Bedrohung schien mit einem Mal von Tom auszugehen. Er schien einfach so verändert.
»Du siehst Dinge, nicht wahr?«
Arienne wich unwillkürlich einen Schritt vor ihm zurück, brachte den Couchtisch zwischen sich und den älteren Kollegen.
»Dinge, die dir nachts den Schlaf rauben, ist es nicht so?«
Sein Äußeres schien sich mit jedem schneller werdenden Pulsschlag von ihr zu verändern. Seine Wangen waren eingefallen, die Haut schien zum Zerreißen gespannt und schimmerte bläulich im Licht der Deckenlampe.
»Was ist mit dir …?«, hauchte sie.
»Ah.« Er entließ die Luft in einem lang gezogenen Laut. »Anscheinend lässt die steigende Aufregung dich die Dinge erkennen.«
Sein Äußeres schien sich noch weiter zu verändern. SeineFinger dehnten sich zu langen Klauen, die Fingernägel zu rasiermesserscharfen Krallen.
Arienne hatte, ohne es zu bemerken, zu schreien begonnen. »O mein Gott, Tom! Was geschieht hier?«
Er drehte sich zu ihr um, seine Augen stachen aus den Höhlen hervor, fixierten sie aus rot glühenden Pupillen. Sein Mund bewegte sich fast nicht, als er sprach, und spitze Zähne wuchsen durch die Überreste seiner Lippen hindurch. »Zu traurig, dass du keine Antworten mehr bekommen wirst, Erleuchtete!«
Ohne Vorwarnung stürzte er auf sie zu. Er übersprang das Sofa und landete auf dem Couchtisch, der unter lautem Krachen zusammenbrach. Der Aschenbecher ihres Vaters ging dabei mit lautem Klirren zu Bruch. Seine rechte Hand schnellte nach vorn und packte Arienne an der Kehle. »Du wirst Eden niemals wiederbringen!«, brüllte er ihr entgegen.
Er holte mit der Linken zu einem vernichtenden Schlag aus, doch Arienne schüttete ihm instinktiv ihren heißen Tee ins Gesicht.
Tom ließ von ihr ab, und sie rannte schreiend an ihm vorbei, wollte nur die Tür erreichen und die Wohnung verlassen.
Ein tierisches Knurren und Fauchen ließ sie einen Blick über die Schulter werfen. Toms
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