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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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verlängert zwar das Leben, aber es macht doch nicht unverwundbar . Ihr könntet Giacomo doch ganz einfach …«
    »Ihm ein Messer in die Brust jagen? Meint Ihr das?« Cosimo lächelte. Es war ein freudloses Lächeln voller Bitterkeit. »Natürlich könnte ich das. Ich könnte ihn töten. Oder töten lassen. Ich würde damit lediglich meinen ohnehin unverzeihlichen Sünden noch die Sünde des Mordes hinzufügen, und das spielt wohl kaum noch eine Rolle.« Er lachte auf. »Glaubt mir, Signorina Anne, der Gedanke ist auch mir schon gekommen, und Ihr ahnt nicht, wie verführerisch er ist. Es wäre so einfach. Ein Stoß ins Herz, und alles wäre vorbei.«
    »Ja, aber warum tut Ihr es dann nicht?«
    »Ich bin dreiundachtzig Jahre alt und habe in meinem Leben gewiss viele Fehler begangen. Etliche davon sind unverzeihlich . Doch eines habe ich in all den Jahren gelernt, in denen ich zusehen musste, wie Tanten und Onkel, Vetter und Basen , Neffen und Nichten, Freunde und Bekannte aufwuchsen und starben, am Alter, durch Krankheiten, Seuchen, Unfälle oder einfach so, ohne dass es scheinbar einen Grund gab – der Mensch ist klein, klein und zerbrechlich wie eine zarte Figur aus Glas. Das Leben eines jeden von uns hängt an einem seidenen Faden. Ich bin zu der Ansicht gelangt, dass niemand diesen Faden durchschneiden darf, der nicht auch imstande ist, ihn wieder neu zu knüpfen. Und diese Macht hat allein Gott.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Nein«, sagte er leise, »ich werde es nicht tun. Das Gegengift wird hoffentlich die lebensverlängernde Wirkung des Elixiers aufheben und Giacomo auf natürlichem Weg sterben lassen. Und mich auch.« Er wandte sich abrupt von ihr ab. »Geht, Signorina Anne. Wir können nachher weiterreden.«
    So weit die Lektion zum Thema »Rechtfertigung des Tyrannenmords «, dachte Anne. Sie schämte sich. Sie wollte noch etwas sagen, irgendetwas, um Cosimo zu trösten – oder vielleicht eher sich selbst, doch ihr fiel nichts ein. Eine Weile verharrte sie noch und sah ihn an, wie er vor einem der Regale stand, sich mit der linken Hand abstützte und in seinen trüben Gedanken versunken war. Er tat ihr Leid, und sie verspürte den Wunsch, etwas für ihn zu tun. Aber was? Anne biss sich nachdenklich auf die Lippe, dann verließ sie die Bibliothek und ging auf ihr Zimmer. Stoff zum Nachdenken hatte sie jetzt wahrlich genug.
    Die Saat des Hasses
    Aufrecht, mit geradem Rücken und erhobenem Kopf, den Blick geradeaus gerichtet, die Hände rechts und links an die Hüften gelegt, standen Rashid und Yussuf in einer Reihe mit den Kameraden ihres Schlafsaales am Fußende ihrer Bettgestelle . Die Decken und Kissen waren ordentlich gefaltet, die Mützen und Säbel lagen darauf, die Gebetsteppiche sorgfältig zusammengerollt daneben, die Kisten mit ihren persönlichen Gegenständen standen unter dem Bett. Sie hatten noch beim Frühstück gesessen, als sie den Befehl bekommen hatten , alles in Ordnung zu bringen und dann in Reih und Glied auf den Meister der Suppenschüssel zu warten. Seitdem standen sie hier – nahezu unbeweglich. Und während Ibrahim , der Meister der Suppenschüssel, von Kamerad zu Kamerad ging, alles genau begutachtete und selbst das Bettzeug und die Matratze dabei nicht außer Acht ließ, verrann die Zeit. Kostbare Zeit, mit der Rashid eigentlich etwas anderes vorgehabt hatte. Gleich nach dem Mittagessen würde sein Dienst am Tor beginnen. Jetzt, in diesem Augenblick, hatte er eigentlich bei Anne sein wollen. Er wollte mit ihr reden, ihre Stimme hören oder sie doch wenigstens sehen, einfach in ihrer Nähe sein. Stattdessen stand er hier sinnlos herum. Anne. Ob sie ihn schon erwartete? Ibrahim schien kaum voranzukommen , und Rashid spürte, wie allmählich Zorn in ihm aufwallte.
    Das ist eben das Los eines Janitscharen, dachte er und biss die Zähne zusammen. Du gehörst Allah, dem Sultan und Ibrahim , meistens in umgekehrter Reihenfolge. Aber niemals dir selbst.
    »Große Inspektion«, raunte ihnen Kemal zu, der in dem Bett rechts neben Rashid schlief und sehr viel älter war als sie. »Fragt sich nur, was oder wen die suchen. Das letzte Mal, als sie eine große Inspektion gemacht haben, ist schon lange her. Muss noch vor eurer Zeit gewesen sein. Damals war einer unserer Kameraden in der Latrine erstochen aufgefunden worden . Sie haben nach dem Mörder gesucht.«
    »Und? Hat man ihn gefunden?«
    »Natürlich. Es war der Kochmeister. Er hat mit einem anderen Kameraden Unzucht getrieben.

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