Die Wächter von Jerusalem
Scheunen auszubessern .«
»Und das Pergament, das die Mönche dort aufbewahrt hatten , habt Ihr das auch nicht gefunden?«
»Doch«, antwortete Cosimo, während er langsam und behutsam den Brief wieder einrollte und in die Kartusche schob. »Wir haben es gefunden. Es war in einer Gruft verborgen. Wir haben tagelang danach gesucht und wollten beinahe schon aufgeben. Aber glücklicherweise hat Anselmo eine Spürnase wie ein guter Jagdhund.«
»Und was stand auf diesem Pergament?«
»Es ist die zweite Seite gewesen«, sagte Cosimo leise. »Die zweite Seite des Rezepts für das Elixier der Ewigkeit, die uns bis dahin gefehlt hat.«
Anne dachte nach. Cosimo hatte ihr in Hamburg berichtet, dass darauf die ganzen Nebenwirkungen aufgezählt waren, die das Elixier hatte – ein verlängertes Leben, scheinbar ewige Jugend, Schutz vor Krankheiten und Alter – und Wahnsinn. War Cosimo deshalb so deprimiert? Rief es die Erinnerungen daran wieder wach, was durch das Elixier aus seinem Freund Giacomo geworden war?
Er lachte bitter. »In dieser Schrift stand wenig geschrieben, was ich nicht schon gewusst oder doch wenigstens geahnt hatte. Auch wenn ich mir nicht im Klaren darüber bin, ob das Wissen darum damals an meiner Entscheidung, das Elixier herzustellen, etwas geändert hätte. Die Überheblichkeit und der Leichtsinn der Jugend schlägt Warnungen mit einem Lachen in den Wind.« Er fuhr sich durchs Haar. »Nur eine einzige wirklich wichtige Information konnten wir der zweiten Seite entnehmen. Es gibt ein weiteres Rezept. Ein Rezept, mit dem die Wirkung des Elixiers zum Teil aufgehoben werden kann, ein Gegenmittel.« Cosimos Augen wurden schmal. Er sah in die Ferne, und seine Hände umklammerten die Kante des Tisches, sodass die Knöchel weiß hervortraten. »Aufgrund des Briefes glaube ich, dass es sich bei der Schrift, die Pater Joseph in Jerusalem gefunden hat, um ebendieses Rezept handelt . Ich bin davon überzeugt, dass es damals irgendwo in einer der Kirchen hier versteckt war. Und ich hege die verzweifelte Hoffnung, dass es dort immer noch liegt.« Er atmete schwer. »Ihr habt Recht, Signorina Anne, die Zeit drängt. Denn wir befürchten, dass auch Giacomo von dieser Schrift weiß und überall nach ihr sucht.«
»Woher sollte er davon wissen? Ihr habt doch den Brief und …«
»Pater Joseph und seine Brüder waren todkrank. Sie haben im Fieber geredet. Vielleicht hat jemand ihre Fieberfantasien gehört – Bauern, Hausmädchen, Kinder, Mönche. Vielleicht haben sich an dem Ort, in dem die Kreuzfahrer gestorben sind, Gerüchte gehalten, Geschichten, die man sich über Generationen weitererzählt hat. Wenn Giacomo durch Zufall zu diesem Ort gekommen ist und diese Geschichten gehört hat, was glaubt Ihr, was er wohl getan hat?«
Anne dachte kurz nach, dann wurde ihr eiskalt. Ihre Zähne schlugen heftig aufeinander, und ihre Stimme klang heiser, als wäre sie plötzlich von der Grippe heimgesucht worden.
»Er wird das Elixier getrunken haben«, flüsterte sie, »und hat dadurch alles aus erster Hand erfahren.«
Cosimo nickte, sein Gesicht wirkte noch bleicher als sonst.
»Ja. Er brauchte den Brief nicht, wenn er mit eigenen Ohren hören konnte, was Pater Joseph und seine Mitbrüder erzählten , bevor sie starben. Nicht einmal die Pest konnte ihn schrecken , denn das Elixier schützt ihn vor der Seuche.«
»Aber wie …« Anne zitterte am ganzen Körper. Erst jetzt wurde ihr bewusst, welche Macht Giacomo de Pazzi mit Hilfe des Elixiers der Ewigkeit bekam. »Wie können wir ihn dann zur Strecke bringen? Er wird immer das Elixier benutzen, um sich selbst Ratschläge zu geben. Und dadurch wird er uns immer einen Schritt voraus sein.«
»Wir müssen dieses Rezept finden, Signorina Anne«, sagte Cosimo. »Wir müssen es finden, bevor Giacomo es entdeckt. Es ist die einzige Waffe, mit der wir ihn besiegen können.«
Anne rieb sich die Arme. Obwohl draußen die Sonne schien und die Luft in dem kleinen Hof vor Hitze flimmerte, kam es ihr so vor, als wäre sie in einer Kältekammer eingesperrt worden . Doch plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf, hatte sie eine Idee, so simpel, dass es verwunderlich war, dass Cosimo nicht längst selbst darauf gekommen war. Es war so logisch.
»Cosimo, warum wollt Ihr nicht …«, sie brach ab und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Ihr Herz klopfte wie ein Dampfhammer. Irgendwo in ihrem Kopf regte sich ihr Gewissen . Aber heiligt nicht der Zweck die Mittel? »Das Elixier
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