Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
Vom Netzwerk:
deiner normalen Einteilung während der nächsten fünf Nächte. Außerdem bringst du dein Bett und diese Schweinerei hier wieder in Ordnung. Und schneide dir die Haare!«
    Mit diesen Worten wandte er sich von ihm ab, und ohne Kemal einer genauen Untersuchung zu unterziehen, rauschte er hinaus. Omar war sichtlich erleichtert. Er legte Rashid kurz eine Hand auf die Schulter und lächelte, dann folgte er dem Meister der Suppenschüssel. Erst als die Tür hinter den beiden zufiel, kehrte das Leben in die Männer zurück. Einige kamen an Rashid vorbei, nickten ihm verständnisvoll zu oder lächelten mitfühlend, während er sich nach seiner Kleidung bückte und sich wieder anzog. Yussuf trat zu ihm.
    »Das ist noch gerade mal gut gegangen, mein Freund!«, sagte er und legte ihm eine Hand auf den Rücken. »Ehrlich, ich dachte, du würdest Ibrahim an die Kehle gehen.«
    »Hat auch nicht viel gefehlt«, entgegnete Rashid und streifte sich das Hemd über. Er wäre jetzt gern allein gewesen. Es stand ihm nicht unbedingt der Sinn danach, die ganze Geschichte noch einmal durchzukauen.
    »Was hat dich davon abgehalten? Ich dachte wirklich jeden Augenblick, du fällst über ihn her.«
    »Ibrahim selbst«, sagte Rashid, und plötzlich musste er lächeln . »Ich dachte daran, wie wütend er sein würde, wenn ich mich anders verhalte, als er es von mir erwartete.«
    »Das ist dir auch vortrefflich gelungen. Aber sei vorsichtig. Ibrahim wird sich bis an sein Lebensende an diesen Augenblick erinnern. Und er wird die nächste Gelegenheit nutzen, um es dir hundertfach heimzuzahlen.«
    »Ja, ich weiß«, erwiderte Rashid und begann seine Sachen aufzusammeln. Fünf Nächte zusätzlich zu seinem normalen Dienst. Das bedeutete, dass er abgesehen von Schlafen und Essen keine Zeit für andere Dinge haben würde.
    »Sieh mal, der König hat keinen Kopf mehr«, sagte Yussuf und hob den schwarzen König vom Boden auf. »Ob man ihn reparieren kann?«
    Rashid nahm die kleine Holzfigur und betrachtete sie nachdenklich . Die Schachfiguren waren ein Geschenk, das er vom Statthalter wegen besonderer Verdienste um dessen Familie bekommen hatte. Damals hatte er einen Mann zur Strecke gebracht , der es gewagt hatte, der jüngsten Tochter des Statthalters nachzustellen. Jetzt fragte er sich, ob die kleine Fatma wirklich glücklich darüber gewesen war, dass der junge Mann aus der Stadt verbannt worden war. Möglicherweise hatte er sie gar nicht belästigt, sondern sie einfach nur geliebt.
    »Vielleicht«, sagte er und legte den schwarzen König wieder in die Kiste zurück. Er war selbst ein wenig verwundert darüber , dass er sich nicht mehr über die zerbrochene Figur ärgerte . Aber Schachfiguren waren schließlich nicht so wichtig. Und fünf Tage und Nächte waren auch nicht die Ewigkeit.

VII
    Morgendämmerung
    Es war dunkel und still im Schlafsaal. Rashid lag auf seinem Bett und hörte zu, wie die anderen Kameraden schnarchten oder leise vor sich hin röchelten. Yussuf murmelte ein paar unverständliche Worte im Schlaf und warf sich auf die andere Seite. Er schlief oft sehr unruhig, manchmal keuchte er sogar, als würde er vor jemandem davonlaufen. Und seit der Sache mit den beiden Mädchen hatte es sich noch verschlimmert.
    Rashid versuchte wach zu bleiben, sich nicht von den Geräuschen im Saal anstecken zu lassen. Er hatte Ibrahims Strafe abgebüßt. Es war kräftezehrend und anstrengend gewesen. Das Frühstück hatte an diesen Tagen für ihn ausfallen müssen, weil er nach der Nachtwache gleich morgens seinen normalen Dienst am Tor hatte verrichten müssen. Und wenn der vorbei war, blieb ihm außer für eine hastige Mahlzeit nur noch die Kraft, ins Bett zu sinken und ein paar Stunden zu schlafen, um rechtzeitig zum Beginn der Nachtwache wieder am Tor zu stehen . Aber fünf Tage sind keine Ewigkeit. Er hatte durchgehalten . Omar hatte ihm sogar diesen ganzen Tag freigegeben. Er hatte ausgiebig gegessen und den Nachmittag im Bad verbracht. Und nun war er eigentlich todmüde. Aber er wollte auf gar keinen Fall einschlafen. Er wollte, nein, er musste zu Anne. Er musste sie endlich wiedersehen. Es war ein Gefühl, als würde sein Leben davon abhängen.
    Jetzt war es noch zu riskant, sich aus der Kaserne zu schleichen . Noch hatten nicht alle Wachen ihre Posten eingenommen , noch machten ein paar Offiziere ihre Runde, um sich davon zu überzeugen, dass auch wirklich alle Janitscharen in ihren Betten lagen. Die Gefahr, einem von ihnen in die Arme zu

Weitere Kostenlose Bücher