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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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unbekanntes Frauenmagazin arbeitete, in den Genuss dieses Privilegs gekommen war, darüber hatte sie sich keine Gedanken gemacht. Vielleicht war sie dafür zu dumm gewesen – möglicherweise auch zu arrogant. Denn hätte sie nur einen Augenblick nachgedacht , wären ihr gewiss Zweifel gekommen, und sie wäre am Sonnabend so klug gewesen, im Hotel zu bleiben. Doch sie hatte nicht überlegt. Sie war voller Erwartung und Neugierde zu dem Kostümfest von Cosimo Mecidea gegangen und hatte sogar in ihrem Artikel darüber berichten wollen. Und dann …
    Anne dachte an den Moment, als Giancarlo sie Cosimo Mecidea vorgestellt hatte. Er war ein ungewöhnlich attraktiver Mann mit einem Blick, der ihr noch jetzt Schauer über den Rücken jagte. Da war etwas in seinen dunklen Augen, etwas, für das sie kein anderes Wort fand als diabolisch. Sie hatte ihn niemals zuvor gesehen, aber er hatte sie gekannt, dafür hätte sie ihre Hand ins Feuer legen können. Wenn sie jetzt darüber nachdachte, fragte sie sich, weshalb sie geblieben war. Weshalb sie nicht bereits zu diesem Zeitpunkt das Fest verlassen hatte. Gründe hätte sie genug finden können, aber sie war geblieben. Aus Neugierde. Vielleicht auch aus Eitelkeit. Und als sie dann schließlich doch hatte gehen wollen, als die Angst vor diesem unheimlichen Mann und seinen düsteren Absichten jede Gier nach einer interessanten Story erstickt hatte, war es zu spät gewesen. Mecidea hatte sie nicht mehr fortgelassen. Sie musste von dem seltsamen Trank probieren, den er seinen Gästen gereicht hatte, eine Flüssigkeit von rubinroter Farbe und dem köstlichen Geschmack nach Mandeln, Veilchen und Honig. Selbst jetzt glaubte sie noch diesen Geschmack auf der Zunge zu haben. Und danach?
    Ja, was war dann geschehen? Hatte sie sich alles nur eingebildet , oder war sie wirklich im Jahr 1477 wieder aufgewacht? Hatte sie nur geträumt, dass sie sich in Giuliano de Medici verliebt und dass sie sein Kind erwartet hatte? War es nur das Resultat eines Drogenrausches, dass sie versucht hatte, die Pazzi-Verschwörung zu verhindern, in deren Verlauf Giuliano ermordet worden war? Und war es nur eine Halluzination, dass sie ein Kind zur Welt gebracht hatte, einen Jungen, der gleich nach der Geburt entführt worden war?
    Anne drehte sich langsam auf ihrem Stuhl hin und her. Hier in ihrer Wohnung mitten zwischen all den vertrauten Gegenständen und Bildern, im Angesicht der Errungenschaften der modernen Technik klang das alles nach den Hirngespinsten einer Geisteskranken. Es war verrückt, an die Existenz eines Elixiers zu glauben, das Reisen in die Vergangenheit ermöglichte. Es gab keine Magie. Und folglich gab es auch keine Zaubertränke . So etwas passte nicht in die Welt, wie sie sie kannte. Und die Zeiten, als Alchemisten geglaubt hatten, sie könnten Gold herstellen oder den Stein der Weisen finden, waren gottlob vorbei. Es wurden auch schon seit Jahrhunderten keine Hexen mehr verbrannt – weil man begriffen hatte, dass Hexen und Zauberer nichts weiter als Spuk- und Märchengestalten waren. Wenn also jetzt etwas nicht mit ihr stimmte, so musste es eine ganz natürliche Erklärung dafür geben – ein unbekannter chemischer Cocktail mit stark halluzinogener Wirkung zum Beispiel.
    Annes Verstand krallte sich an dieser Theorie fest. Es war eine Droge. Vielleicht eine unbekannte, deren Wirkung noch nicht erforscht wurde, aber nur eine Droge. Nichts weiter. Es musste einfach so sein.
    Aber wie kam sie dann zu der Narbe, die seit dem Wochenende auf ihrem linken Brustkorb prangte? In ihrem »Traum« war diese Narbe das Resultat eines Dolchstoßes, der nur knapp ihr Herz verfehlt hatte. Doch woher kam die Narbe wirklich? War es möglich, dass man sich verletzte und die Haut innerhalb von nicht einmal vierundzwanzig Stunden heilte? Und was war mit ihrem Gewicht geschehen? Von Samstag auf Sonntag hatte sie zehn Pfund zugenommen. Ihre Hosen und Röcke passten ihr kaum noch. Wie war das möglich ? Ihre Gynäkologin, eine Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben stand und der sie nichts von dem Elixier und ihren Halluzinationen erzählt hatte, konnte sich nicht erklären, weshalb ihre Gebärmutter vergrößert war. Sie hatte sogar von Schwangerschaft gesprochen. Zwischen dem Zeitpunkt, als Mecidea sie am Abend des Festes in ein kleines Seitenzimmer gebracht hatte, damit sie sich von einem Migräneanfall erholen konnte, und ihrem Erwachen in demselben Zimmer am anderen Morgen war irgendetwas mit ihr

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