Die Wächter von Jerusalem
Liebeskummer würdest du dich wohl kaum ausgerechnet an mich wenden. Hast du gesundheitliche Probleme?«
Anne starrte in ihre Tasse, als könnte sie auf ihrem Grund die Antwort darauf finden, wie sie dieses Gespräch am besten beginnen sollte. Warum musste Beatrice so direkt sein? Vielleicht hätte sie es sich doch noch mal anders überlegt, einfach nur mit ihrer Cousine geplaudert – über den Beruf, ihre Tochter, ihren Mann, das ganz normale Familienleben. Aber so … Sie holte tief Luft.
»Ich habe eine Frage – aber bitte lach mich nicht aus.« Sie räusperte sich. Ihre Stimme war seltsam heiser und drohte ganz zu versagen. »Kann man innerhalb von zwei Tagen schwanger werden und ein gesundes Kind zur Welt bringen? Ist so etwas medizinisch möglich?«
Beatrice sah sie einen Moment fassungslos an, dann schüttelte sie den Kopf.
»Nein, das dauert schon seine acht bis neun Monate, das kannst du mir glauben. Eine Kurzversion lässt die Natur nicht zu. Warum fragst du?«
»Weil – ich weiß, dass du mich jetzt für übergeschnappt hältst, aber … Nun ja, ich glaube, dass mir genau das passiert ist.«
Beatrice blinzelte, aber sie lachte nicht. Wenigstens das blieb ihr erspart.
»Aha.«
»Ich war an diesem Wochenende in Florenz, und da ist etwas passiert, das alles auf den Kopf gestellt hat. Alles, was ich bisher für möglich gehalten habe.« Und Anne erzählte von Anfang an. Sie erzählte von Mecideas Einladung, von dem Fest, dem Elixier, ihren Erlebnissen im »Traum« bis zu der Geburt ihres Kindes, seiner Entführung und ihrem Erwachen im Nebenzimmer des Ballsaales. Es wurde ein langer Bericht, immer wieder unterbrochen von ihrem Schluchzen. Sie bekam Angst. Wenn Beatrice ihr nun eröffnete, dass sie geisteskrank war? Dass sie an einer schweren Psychose litt? Oder hatte man etwa an ihr ein Verbrechen begangen? Hatte man irgendwelche geheimen medizinischen Versuche an ihr vorgenommen? Das klang zwar nach einer Story über die Entführung durch Außerirdische , aber war das nicht ebenso wahrscheinlich wie die Möglichkeit von Zeitreisen? Dabei erinnerte sie sich so gut an alles, an jede Kleinigkeit. Es war nicht wie die Erinnerung an einen Traum. Es war, als hätte sie alles wirklich erlebt.
Als sie endlich fertig war, schwieg Beatrice eine Weile und drehte nachdenklich ihre Tasse in den Händen.
»Warst du schon bei einem Gynäkologen?«, fragte sie schließlich.
Anne nickte und wischte sich die Tränen von den Wangen.
»Ich bin gestern direkt vom Bahnhof zu meiner Ärztin gefahren .«
»Und was sagt sie?«
Anne zuckte mit den Schultern. »Sie kann es sich nicht erklären . Die Gebärmutter ist weich und vergrößert, und …«
»Wie nach einer Entbindung?«
»Ja. Sie sagte, wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie glauben, ich sei schwanger gewesen. Mindestens im achten Monat.« Anne schluchzte wieder auf. »Ich habe dieses Kind wirklich gespürt, Bea. Ich habe seine Bewegungen in mir gefühlt . Glaubst du, dass ich verrückt bin?«
Beatrice atmete geräuschvoll aus, dann schüttelte sie den Kopf.
»Nein, ich glaube nicht, dass du verrückt bist, Anne.«
Anne begann wieder zu weinen. Diesmal vor Erleichterung.
»Aber was ist dann mit mir geschehen? Wie kann es sein, dass ich …«
»Ich denke …«, begann Beatrice langsam und stellte ihre Tasse auf den Tisch. »Meiner Meinung nach ist genau das geschehen , was du mir berichtet hast. Du bist in die Vergangenheit gereist. Wirklich und wahrhaftig. Anders lässt es sich nicht erklären – deine Narbe, die Schwangerschaft. Menschen können unter Halluzinationen leiden, sich etwas einbilden, einem Ultraschallgerät ist das nicht möglich. Vielleicht hat dieser Mecidea dich mit dem Elixier betäubt. Bist du sicher, dass er dir keinen Stein gegeben hat? Einen Edelstein?«
»Ja, ganz sicher, das heißt … Ich trug am Samstag zu dem Kleid ein Granatcollier.«
»Granat? Und da war kein Saphir dabei? Ganz sicher?«
»Ganz sicher.«
Beatrice biss sich auf die Lippe. »Dann muss es also auch noch andere Möglichkeiten geben.«
»Was meinst du damit?«
»Nichts, nichts Bestimmtes.« Beatrice strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Dann sieht es so aus, als ob dieses Elixier für deine Zeitreise verantwortlich wäre.«
»Aber … das ist doch verrückt. Es gibt keine Magie, keine Zauberei. Das ist doch …« Anne zuckte hilflos mit den Schultern . »Das ist doch wider alle Naturgesetze.«
Beatrice schüttelte den Kopf. »Nur gegen jene, die
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