Die Wächter von Jerusalem
wir bisher kennen, Anne. Aber was weiß der Mensch schon?«
Anne sah ihre Cousine verblüfft an. Meinte Beatrice es tatsächlich ernst? Es sah danach aus. Dann musste sie lachen.
»Dann bin ich also eine Zeitreisende. Ich dachte immer, so etwas gibt es nur in Filmen und Romanen.«
»Wenn du wüsstest …«
»Wie bitte?«
»Nichts.«
Sie tranken einen Schluck Tee, und jede hing ihren eigenen Gedanken nach.
Ich würde zu gern wissen, was Beatrice denkt, ging es Anne durch den Kopf, und betrachtete ihre Cousine forschend. Es ist erstaunlich, wie leicht sie zu überzeugen ist. Wenn sie mir so eine haarsträubende Geschichte erzählt hätte, hätte ich sie bestimmt nicht so ohne weiteres geglaubt.
»Und was soll ich jetzt tun?«, fragte sie schließlich. »Kannst du mir einen Rat geben? Ich kann doch nicht einfach zum Alltagsgeschehen übergehen und so tun, als wäre diese Sache eine Erfahrung wie Bungee-Jumping – etwas abgefahren, aber durchaus normal. Außerdem …« Anne senkte den Kopf. »Ich möchte meinen Sohn sehen. Ich möchte wissen , was aus ihm geworden ist, ob es ihm gut geht.«
Beatrice lächelte. »Das kann ich sehr gut verstehen, Anne. Aber die gängigen Informationsquellen wie Internet, Archive und Lexika werden dir kaum weiterhelfen können. Ich fürchte, du wirst diesen Mecidea ausfindig machen müssen. Er wird deine Fragen mit Sicherheit beantworten können.«
Anne lächelte schief. »Natürlich kann er. Die Frage ist nur, ob er dazu auch bereit ist.«
Ja, genau das war die Frage, die Anne sich schon die ganze Zeit über gestellt hatte.
Es war schon spät am Nachmittag, als Anne endlich wieder zu Hause war. Sie hatte noch eine Weile mit Beatrice alle Möglichkeiten , über dieses geheimnisvolle Elixier etwas herauszufinden , durchgesprochen, dann waren Thomas und Michelle nach Hause gekommen, und sie hatten zusammen Tee getrunken . Für kurze Zeit hatte Anne ihre Probleme und Sorgen in einem anderen Licht gesehen. Sie waren ihr nicht mehr so düster und unüberwindlich erschienen. Erst jetzt, als sie ihre Tür öffnete und über die Schwelle ihrer Wohnung trat, schlug wieder alles über ihr zusammen. Es war, als hätte ihre Angst, ihre Verzweiflung und alle ungelösten Fragen hier auf sie gewartet. Anne schluckte und schloss die Tür hinter sich. Sie musste sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, was Beatrice ihr gesagt hatte. Sie war nicht verrückt. Sie hatte sich nichts eingebildet. Sie hatte eine Reise in die Vergangenheit unternommen. Und es gab nur einen Menschen, der eine Erklärung dafür hatte, einen einzigen Mann auf der Welt, der ihr alle Fragen beantworten konnte – Cosimo Mecidea.
Anne warf ihre Strickjacke achtlos im Vorbeigehen auf ihr Bett und ging ins Arbeitszimmer. Es lag eine Menge Arbeit vor ihr. Sie wusste, dass es nicht einfach sein würde, Cosimos Adresse und Telefonnummer herauszufinden, wenn nicht einmal Giancarlo sie kannte. Doch sie war Journalistin. Sie hatte Beziehungen. Und sie kannte genügend Geheimtüren in die Welt der High Society, um herauszufinden, was sie wissen wollte. Egal, wo und wie gut Cosimo Mecidea sich auch verstecken mochte, sie würde ihn schon aufspüren.
Draußen wurde es bereits dunkel, als Anne schließlich aufgab . Mittlerweile saß sie seit über vier Stunden am Computer. Ihre Glieder waren steif, ihre Finger eiskalt, sie hatte Hunger und Durst – und sie hatte nichts erreicht. Sie hatte alles versucht , doch jede Spur, die sie verfolgt hatte, hatte sie nur in die Irre geführt. Nirgendwo tauchte eine Adresse oder eine Telefonnummer auf. Cosimo Mecidea schien weder ein Büro noch eine geschäftliche Vertretung zu haben. Kein Anwalt oder Notar schien sich um seine Belange zu kümmern. Offenbar gab es nicht einmal Geschäftspartner, mit denen er verkehrte. Es war nichts zu finden. Nicht einmal ihre besten Quellen, die ihr sogar schon die private Handynummer von Hillary Clinton besorgt hatten, wussten etwas über Cosimo Mecidea. Es war, als wäre dieser Mann ein Phantom.
Anne strich sich das Haar aus dem Gesicht. Sie war frustriert . Wie sollte es jetzt weitergehen? Eine Nachricht stand noch aus. Die wichtigste. Also war noch nicht alles verloren. Eine Chance, ein Ass im Ärmel hatte sie noch … Es war ein ehemaliger Studienkollege, der jetzt als Pressesprecher eines der größten europäischen Kreditinstitute arbeitete. Ihm gelang es bestimmt, Cosimos Bankverbindung ausfindig zu machen . Und mit dieser Information war es ohne
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