Die Waechter von Marstrand
schweigend hinunterschluckte. Langsam wurden ihre Hände wieder beweglich, und die letzten Löffel konnte sie allein essen. Währenddessenstellte Agnes für Aleida und sich selbst die Reste vom Vortag auf den Tisch. Oskar würde frühestens morgen zurückkehren, und falls jemand vorbeikam, konnte sie Aleida einfach in einem Nebenraum verstecken oder gar nicht die Tür öffnen.
Agnes strich eine dicke Schicht Butter auf ein Stück Fladenbrot und legte es Aleida auf einen Zinnteller. Achtsam führten ihre schmutzigen Hände das dünne Brot zum Mund.
Aleida kaute, schluckte und richtete sich auf.
»Ich bin eine Wilde geworden.« Sie schüttelte den Kopf und betrachtete ihre Füße. »Zumindest äußerlich.«
»Der Brief ist unterwegs. Vielleicht ist er sogar schon angekommen.« Agnes überlegte, wie lange ein Brief nach Holland brauchte, welche Strecke er zurücklegen musste und wie er wohl am Hof aufgenommen werden würde.
»Hoffentlich kommen sie bald und holen mich ab, denn ich halte es nicht mehr lange aus.«
Agnes nickte. Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Stattdessen schöpfte sie noch eine Kelle Bouillon in Aleidas Suppenteller und drückte ihr den Löffel in die Hand. Sie hielt ihn anmutig und aß wie eine feine Dame. Hinter dem Schmutz und dem Hunger konnte man die Reste der Frau erahnen, die den größten Teil ihres Lebens schöne Kleider in schimmernden Farben getragen, sich mit wohlerzogenen Menschen umgeben und in vornehmen Salons bewegt hatte. Nun saß sie barfuß und verdreckt, mit verfilztem Haar und in einem zerrissenen Kleid bei Agnes in der Küche.
Agnes überlegte, ob sie Aleida etwas zum Anziehen geben konnte. Sie brauchte etwas, das sie vor Nässe und Kälte schützte. Auch wenn es ihr letzter Winter auf Klöverö war, würde sie es schwer haben. Hoffentlich war der Brief gut angekommen. Hoffentlich war die Rettung nah.
22
Um acht legten sie vom Steg auf Klöverö ab. Der Sund lag ruhig und spiegelglatt da.
»Was denkt ihr?«, fragte Karin. »War es ein Unfall?«
»Durchaus möglich«, sagte Folke. »Jeder Mensch weiß, dass es auf Plumpsklos Wespennester gibt.«
»Jessica scheint nicht der Typ gewesen zu sein, der Herzhäuschen bevorzugte«, stellte Karin fest und ließ den Motor an. Sie überprüfte, ob Kühlwasser aus dem Auspuff kam, bevor sie Robert aufforderte, den vorderen Tampen zu lösen und selbst den Achtertampen losmachte. Einer der Fender fehlte. Wahrscheinlich hatte Folkes Knoten nicht gehalten. Sie machte sich nicht die Mühe, ihm das mitzuteilen. Seit Charlie ihn als »Arschloch« bezeichnet hatte, war er vollkommen aus dem Gleichgewicht geraten, und ein verlorener Fender würde die Sache nicht besser machen.
»Aber wie kam es, dass die Tür von außen verriegelt war? Ich kann mir kaum vorstellen, dass der Riegel von allein heruntergefallen ist. Was meinst du, Jerker?«, fragte Robert und legte einen völlig verknäulten Tampen auf die Sitzbank. Karin hob ihn wieder auf und drückte ihn Robert in die Hand.
»So verstaut man doch keinen Tampen! Soll ich etwa das nächste Mal, wenn ich ihn brauche, erst dieses Durcheinander entwirren? Stell dir vor, ich bin allein an Bord, und es stürmt, oder der Motor bleibt plötzlich stehen. Es muss immer alles ordentlich und an seinem Platz sein. Du als Vater von drei kleinen Kindern müsstest das doch wissen.«
»Tut mir leid, Käpt’n.« Er wickelte den Tampen auf und wirkte ein wenig verschämt. Sorgfältig packte er das Tau weg und erntete ein anerkennendes Nicken von Karin.
»Was hast du über die Tür gesagt, Jerker? Hätte sie von allein so fest zufallen können, dass Jessica keine Möglichkeit mehr hatte, sich zu befreien? Ich glaube, das hatte ich gerade gefragt, als ich mir einen Rüffel von unserer Chefin einfing«, er lächelte Karin übertrieben an, »weil ich diese Schnur nicht richtig aufgerollt hatte.«
»Dafür ist der Riegel zu träge«, antwortete Jerker. »Ich habe die Tür mehrmals zugemacht, und er ist kein einziges Mal von allein runtergefallen.«
»Vendela hatte allen Grund, ihre Schwägerin loswerden zu wollen«, sagte Folke. »Astrid Edman auch. Sie ist geradezu besessen vom Bremsegård«, fuhr er fort und nickte vor sich hin.
»Das ist ja auch kein Wunder, es ist schließlich ihr Elternhaus.« Karin gab Gas.
»Ich werde das alles noch einmal überprüfen«, sagte Robert. »Wer weiß, vielleicht wollte Rickard sie loswerden. Eigentlich hat keiner von ihnen ein richtiges Alibi. Jeder
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