Die Waechter von Marstrand
Tagebuch herunter. Dann knipste sie die Lampe neben dem Sessel an und machte es sich mit dem Buch auf dem Schoß bequem. Der Brief, dachte sie. War er nach Holland gelangt? War Rettung unterwegs? Beeindruckend, welches Risiko Aleida eingegangen war, um den Brief zu schreiben, und welches Risiko Agnes auf sich genommen hatte, um ihn abzuschicken, vor allem aber in ihrem Tagebuch davon zu berichten. Astrid fragte sich, wo sie es all die Jahre versteckt hatte. Nun saß sie hier, hielt es in den Händen und wandelte auf Agnes’ Spuren.
Der Herrgott und die Kinder
Über Nacht hatte es geschneit. Außer in der Küche waren alle Fenster von innen vereist. Agnes dachte an die Leute in den Hütten und Kojen, an die kleinen Kinder, die den eisigen Winter nicht überleben würden, und die Mütter, die sich abrackerten, um alle hungrigen Mäuler zu stopfen. Allzu viele Väter wärmten sich mit dem Schnaps auf, den sie in Widells Laden kauften, obwohl das Geld für Lebensmittel benötigt wurde. Sie dachte an Lovisa, die wieder guter Hoffnung war. Das Kind sollte im Herbst zur Welt kommen, und jeden Abend flehte Agnes Gott an, ihnen dieses Kind zu lassen. Noch so einen Verlust würde Lovisa nicht überleben, sie würde daran zerbrechen. Der Fußboden war eisig kalt, dennoch betete Agnes auf den Knien. Ihre gefalteten Hände legte sie auf Vaters Familienbibel, als könnte sie dadurch ihren Gebeten zusätzliche Kraft verleihen. Sie schlug sie auf und betrachtete die Seite, die von oben bis unten mit dem Namen Agnes Carolina bedeckt war. Dann sagte sie Amen und stand auf.
23
Während er den Computer hochfuhr, machte Robert es sich auf seinem Schreibtischstuhl bequem und legte die gefalteten Hände in den Nacken. Es gab einige, denen Jessicas Absicht, den Hof zu verkaufen, gegen den Strich gegangen war, dachte er. Es fragte sich jedoch, ob einer von ihnen so weit gegangen wäre, sie auf dem Klo einzusperren und an einem anaphylaktischen Schock sterben zu lassen. Aber wieso, um alles in der Welt, war die Tür verriegelt gewesen, wenn niemand von außen nachgeholfen hatte? Nun, der Sache würde Jerker weiter nachgehen. Robert hatte vorerst die Aufgabe, sich mit Jessicas Hintergrund und ihren nächsten Angehörigen zu befassen.
Er begann mit Jessica selbst. Anhand der Angaben der Familie und der Informationen aus der Datenbank der Polizei konnte er sich ein Bild von der jungen Frau machen. Sie war eine geborene Jessica Svensson, bevor sie Rickard vor zwei Jahren heiratete. In Stockholm zur Welt gekommen, aber in Varberg aufgewachsen. Keine früheren Ehen, Kinder und sonstige Auffälligkeiten. Sie war wohnhaft in London, Großbritannien, und hatte eine gut bezahlte Stelle bei Goldmeyer Sachs. Auch ohneden Verkauf des Bremsegårds brauchte sie sich finanziell keine Sorgen zu machen.
Rickard hatte ebenfalls keine früheren Ehen oder Kinder im Gepäck. Aber Jessica hatte eine Lebensversicherung abgeschlossen, die ihm zufiel. Robert dachte an seine eigene Situation als Ehemann und Vater von drei Kindern. Seine Frau und er hatten beide eine Lebensversicherung, damit der Hinterbliebene mit den Kindern im Reihenhaus der Familie bleiben konnte, falls etwas passierte.
Vendela war geschieden. Aus der kurzen Ehe mit einem Amerikaner war der Sohn Charlie hervorgegangen. Er warf einen Blick auf seinen Notizblock. Sie arbeitete als Krankenschwester im Sahlgrenska und wohnte mit Charlie im Göteborger Innenstadtviertel Vasastan. Sie liebte Klöverö von ganzem Herzen und wollte auf keinen Fall, dass der Bremsegård verkauft wurde. Die Frage war, ob Jessicas Tod aus Vendelas Blickwinkel etwas veränderte. Würde Rickard beispielsweise darauf verzichten, seine Hälfte des Hofs zu verkaufen? Robert stellte fest, dass sie von seinen weiteren Plänen keine Ahnung hatten. Rickard selbst ging es vermutlich genauso. Nach dem, was passiert war, erschien es Robert jedoch fast noch wahrscheinlicher, dass er verkaufen wollte, denn wer wollte schon an einen Ort zurückkehren, wo die eigene Ehefrau ums Leben gekommen war. So wurde man doch ständig an den Verlust erinnert.
Astrid Edman hatte nie geheiratet, las Robert, aber das überraschte ihn nicht. Sie war 73 Jahre alt und auf Klöverö geboren und aufgewachsen. Die große Überraschung war Charlie. Robert setzte sich aufrecht hin und kippte den Bildschirm ein wenig nach hinten, damit er besser lesen konnte. Gott im Himmel! Natürlich hatten Jugendliche manchmal das Pech, in schlechte Gesellschaft zu
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