Die Waechter von Marstrand
wer hätte das tun mögen? Der Bremsegård war zwar Astrids Ein und Alles, aber das hieß noch lange nicht, dass sie Jessica vorsätzlich ersticken lassen würde. Vendela dachte an Charlie. Er hatte gesehen, wie traurig sie war, und sich wahnsinnig aufgeregt. Sie schob den Gedanken beiseite. Es musste ein Unfall gewesen sein. Allerdings hatte sie einmal erlebt, dass jemand nicht mehr herauskam, und da hatte Rickard sie absichtlich eingesperrt.
Jerker stand vor dem Plumpsklo. Er hatte alles sorgfältig untersucht. Jetzt stand er da und öffnete und schlossimmer wieder die Tür. Soweit Karin sehen konnte, war der Holzriegel bis jetzt noch kein einziges Mal von allein zugefallen. Sie ging auf die Straße. Die Insel hatte etwas Friedliches an sich. Sie konnte verstehen, dass Vendela überlegte, ganz hierherzuziehen. Hier draußen hätte sie selbst gern gewohnt. Keine Autos. So nah an der Stadt und trotzdem unendlich weit weg. Alle Haushalte auf der Insel brauchten ein eigenes Boot, und da die Abstände zwischen den Häusern und Booten recht groß waren, benötigte man wahrscheinlich auch ein Lastenmofa. Oder ein vierrädriges Motorrad, denn mit einem Mofa kam man hier im Winter bestimmt nicht weit.
Was war eigentlich passiert? War es wirklich ein Unfall gewesen? Dem Gespräch mit Vendela nach zu urteilen, gab es mehr als eine Person, die Grund gehabt hätte, Jessica zum Teufel zu wünschen. Oder ihr zumindest einen Schreck einzujagen. Und warum blieb Vendelas Sohn dem Hof fern, wenn er nichts getan hatte?
Karin blieb stehen. Aus dem Haus waren laute Stimmen zu hören. Irgendjemand schrie laut und deutlich.
»Arschloch!«
Das musste Charlie gewesen sein, Vendelas Sohn, dachte Karin. Ihr war vollkommen klar, mit wem er gesprochen hatte. Rasch eilte sie zum Haus.
Träume
Wieder näherte sich ein Winter. Der zweite an diesem gottverlassenen Ort. Oder war es der dritte? Hatte sie schon drei Winter hier verbracht? Sie wusste es nicht mehr. Warum kam niemand, um sie zu holen? Der Brief musste längst angekommen sein. Oder war der Königvielleicht abgesetzt worden, so wie in Frankreich? Das hätte das Aus für sie bedeutet. Wer sollte dann wissen, dass sie noch lebte und von hier wegwollte?
Die Tage verschwammen im Nebel. Sie stieg die Klippen hinauf und blickte auf das weite Meer, das die Insel umgab. Alle Wege führten nur an das Wasser, keiner fort von hier. Jetzt wusste sie das. Aleida schloss die Augen und sah den Garten vor sich. Tuin . Der Garten zu Hause. Mit den kostbaren Tulpen und ihrem Pfirsichbaum. Stand das Haus leer? Glaubten sie immer noch, dass Hendrik und sie zurückkehren würden, dass sie sich nur verspätet hatten? Kümmerte sich jemand um das Haus und den Garten, pflückte jemand die reifen Pfirsiche? Perziken . Die Königin sagte immer, Aleidas Pfirsiche seien die besten, von denen sie je gekostet hätte. Dachte jemand daran, der Königin Pfirsiche ins Schloss zu bringen?
Und das Schiff. Hendrik hatte lange dafür gespart, nachdem er so lange unter der Regie von anderen gesegelt war. Es ging ihnen gut, aber diese Reise und die geplante Fahrt nach Frankreich sollten sie reich machen. Wo war das Schiff jetzt? Hatten Daniel und Johannes es an sich genommen, oder hatten sie nicht gewagt, es zu behalten, und es stattdessen zertrümmert? Vielleicht war es verkauft worden. Aleida dachte an das hübsche Namensschild, das Hendrik bei einem lokalen Tischler in Auftrag gegeben hatte. Sorgfältig hatte er so lange daran herumgeschnitzt, bis Hendrik endlich zufrieden war. Aleida Maria hatte in weich gerundeter Schrift darauf gestanden.
Aleida hatte mit den Fingerspitzen über die glatt geschliffene Oberfläche gestrichen.
» Zoals de golven van de zee, maar dan op zijn vriendelijkst «, hatte der Tischler gesagt. Aleida hatte genickt. Der Vergleich gefiel ihr. Dass das Stück Holz den Wellen gleiche, wenn die See freundlich gestimmt sei. Doch all das hatte in einer anderen Zeit, in einem anderen Lebenstattgefunden. Sie schaute in die Ferne. Wenn doch nur ein Schiff käme, um sie zu holen. Sie sah die dreifarbige Flagge und die Uniformen der Besatzung vor sich. Beeilt euch, dachte sie, denn ich halte es nicht mehr lange aus. Die Frau, die sich von der Königin verabschiedet und den Freunden auf dem Kai zugewinkt hatte, als sich das Schiffe auf die Reise nach Norden machte, diese Frau gab es nicht mehr. Sie spürte, dass eine andere Seite immer mehr Gewalt über sie bekam und sich in ihrem Innern ausbreitete.
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