Die Waechter von Marstrand
bleiben?«
»Ja.«
Agnes begriff, dass sie sich in einer guten Verhandlungsposition befand. Sie konnte lesen, schreiben und rechnen, und sie sprach mühelos Schwedisch und Holländisch.
»Sprechen Sie Englisch?«, fragte Widell.
»Nein.«
»Nun gut, dafür habe ich andere Leute. Und Französisch?«
»Leidlich.« Großmutter hatte ihr ein bisschen Französisch beigebracht, aber sie beherrschte es längst nicht so gut wie das Holländische. »Un petit peu«, fügte sie hinzu.
»Bon. Wir haben sowieso vor allem mit Holländern zu tun, diesen Herren der Meere. Ich brauche jemanden, der genau das tut, was Sie gestern getan haben, und mir zu Vertragsabschlüssen verhilft, mit denen beide Seiten leben können, am besten natürlich zu meinem Vorteil. Hin und wieder müssen Verträge geschrieben oder übersetzt und Rechnungen überprüft werden, und wir brauchen ständig Hilfe im Laden. Da er die Grundlage unseres Geschäfts bildet, halte ich es für sinnvoll, wenn Sie dort anfangen. Unsere Kunden sind sowohl hiesige Familien als auch Seeleute, vor allem holländische, die sich bei uns vor der Abreise mit Proviant eindecken. Was sagen Sie dazu, guter Mann?«
Agnes klopfte das Herz bis zum Hals, aber sie konnte es sich verkneifen, das Angebot ohne weiteres anzunehmen.
»Was bieten Sie mir für eine Bezahlung?«, fragte Agnes und erinnerte sich daran, wie ihr Vater zu Hause auf dem Kai mit den Fischern oder den Heringseinkäufern verhandelte. Sie überlegte, wie viel sie brauchte.
Widell lächelte zum ersten Mal und unterbreitete ihr einen Vorschlag.
Ein angemessener Lohn, stellte Agnes fest, mehr als doppelt so viel, wie der beste Fassmacher in Näverkärr verdiente. Marstrand war jedoch auch ein teurerer Ort zum Leben. Ich brauche einen warmen Platz zum Schlafen, Licht und etwas zu essen. Im schlimmsten Fall kann ich mich mit dem Frühstück begnügen, dachte Agnes.
»Fügen Sie ein Zimmer, Brennholz, Tranöl und ein Frühstück auf Ihre Kosten hinzu.«
Widell musste husten. Er trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte und schien zu überlegen.
»So viel verdient hier niemand. Nicht einmal mein Sohn.« Er sah sie an.
Hatte sie den Bogen überspannt? Würde er sie jetzt wieder wegschicken? Vielleicht hätte sie sich mit dem Lohn zufrieden geben sollen, aber auf der anderen Seite konnte er ja auch ein Gegenangebot nennen. Obwohl sie innerlich zitterte, richtete Agnes sich auf. Sie versuchte, freundlich, aber entschlossen zu wirken.
»Mich können Sie eigentlich überall einsetzen, wo ich gerade am dringendsten gebraucht werde«, sagte sie mit möglichst tiefer Stimme.
Widell trommelte noch immer auf die Tischplatte. Dann zog er seine Uhr aus der Westentasche und warf einen Blick darauf, als würde Agnes seine Geduld strapazieren. Lass dich nicht hinters Licht führen, sagte sie sich. Er ist ein mit allen Wassern gewaschener Geschäftsmann.
Sie räusperte sich und fuhr fort:
»Gibt es hier noch einen Angestellten, der dazu in der Lage ist? Haben Sie jemanden, der lesen, rechnen, schreiben, fließend Schwedisch und Holländisch und einigermaßen Französisch sprechen kann?«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Habe ich bereits erwähnt, dass ich auch als Buchhalter tätig war?«, fragte Agnes.
»Nein, aber das habe ich auch so begriffen.« Wieder lächelte Widell. Dann stand er auf und reichte ihr die Hand. »Wir sind uns einig, aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie niemandem von unserer Abmachung erzählen würden.«
Agnes ergriff seine Hand und unterdrückte einen Seufzer der Erleichterung.
»Wann können Sie anfangen?«
Sie hatte den gesamten Tag im Laden verbracht. Mauritz, der Sohn von Kaufmann Widell, hatte ihr die Warengezeigt. Es gab dort fast alles für den täglichen Gebrauch.
Eine magere Frau, die keine Zähne mehr im Mund zu haben schien, hatte zwei Pfund Rüben gekauft. Während Agnes sie bediente, stand Mauritz zwei Schritte hinter ihr. Als es an das Bezahlen ging, trat er vor und nahm das Geld in Empfang. Ein Dienstmädchen mit weißer Schürze kaufte einen Topf Honig, Salz und ein Pfund Mehl. Mauritz ließ Agnes das Geld annehmen, stand jedoch ungeniert neben ihr und kontrollierte, dass alles in der Kasse landete. Einige Male waren so viele Kunden im Laden gewesen, dass sowohl Agnes als auch Mauritz vollauf beschäftigt waren. Agnes maß und wog Stoffe und Lebensmittel ab. Sobald Mauritz sich der Kasse näherte, beäugte er sie kritisch. Sie hatte zwar ein gewisses Verständnis
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