Die Waechter von Marstrand
Gesicht und Nacken, benetzte ihr Haar und sah sich vorsichtig um, bevor sie sich unter den Armen wusch. Zum Glück hatte sie nie einen übermäßig ausladenden Busen besessen, aber sie war weit davon entfernt, wie ein Mann auszusehen. Agnes kehrte in ihr Zimmer zurück und machte sich zurecht, sie bandagierte ihre Brust unter dem Hemd, kämmte das Haar zur Seite und setzte die Mütze auf. Sie hoffte inständig, dass Kaufmann Widell sich noch an sie erinnerte und nicht so betrunken gewesen war, dass er nicht mehr wusste, worüber sie geredet hatten.
Die Gedanken an das Frühstück zu Hause bei Josefina hatten sie hungrig gemacht. Sie überlegte, ob sie im Wärdshus frühstücken sollte. Nein, sie musste sparsam mit ihrem Geld umgehen. Agnes aß ihr letztes Stückchen Brot auf und konnte langsam verstehen, wie es Menschen ging, die sich sorgenvoll fragten, ob sie heute genug zu essen haben würden. Vor allem, wenn man keine Arbeit hatte, mit der man das Geld für Lebensmittel verdienen konnte. Sie versuchte, alle Gedanken an die Zukunft von sich fernzuhalten. Jetzt hatte sie etwas Konkretes zu tun, sie hatte eine Verabredung, die ihr vielleicht eine Arbeit verschaffen würde. Als Mann. Agnes ging in dem kleinen Zimmer auf und ab und überlegte, wie sich die Knechte, die Fassmacher und Vater bewegten, sie ihren Körper hielten und wie sie redeten. Der Gedanke an ihren Vater tat ihr in der Seele weh. Hatte er inzwischen begriffen, dass sie sich aus dem Staub gemacht hatte, oder fischten sie zu Hause in der Karlsvik oder der Slävik nach ihr? Es war schwer zu sagen, ob er schon bemerkthatte, dass sie das Geld genommen hatte, aber die abgeschnittenen Haare und die Tatsache, dass Großmutters Robbenfellkoffer, seine Stiefel und sein Mantel fehlten, waren deutliche Zeichen. Ihr kamen die Tränen. Agnes wollte jetzt nicht an Vater, nicht an den Hof Näverkärr denken. Sie biss sich ins Fleisch an der Innenseite ihrer Wange, bis der Schmerz nachließ. Obwohl es bis zum vereinbarten Zeitpunkt noch lang dauern würde, ging sie nach draußen. Die Fischhändlerinnen waren bereits an ihrem Platz, übertönten einander und wurden beinahe handgreiflich, wenn sich ein potenzieller Kunde zeigte. Die Kinder hatten sich unter den Ständen zusammengekauert. Sie sahen genauso verfroren und hungrig aus, wie sie sich fühlte.
Um Punkt neun klopfte sie bei Widells Kontor in der Varvsgata 9 an und wurde eingelassen. Sie sollte sich setzen und warten. Hier drinnen war von dem Elend auf der Straße und dem Kai nichts zu sehen, und auch die lauten Stimmen drangen nicht herein. Jede Minute, die verstrich, ließ Agnes zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwanken. Was sollte sie tun, wenn man ihr hier keine Arbeit anbot?
Eins nach dem andern, hätte Großmutter gesagt. Eins nach dem andern.
Die Tür ging auf, und Kaufmann Widell erschien. Agnes stand auf, um ihn zu begrüßen.
»Willkommen. Schön, dass Sie gekommen sind. Erlauben Sie mir, Ihnen alles zu zeigen.«
Agnes folgte ihm in die Lager und Vorratsspeicher, in den Laden, wo die Kunden bereits Schlange standen, und wieder zurück ins Kontor. Kaufmann Widell berichtete die ganze Zeit von seiner Arbeit, und zwischendurch stellte Agnes Fragen. Widell nickte anerkennend und beantwortete sie ausführlich.
Als sie wieder an seinem Schreibtisch Platz genommen hatten, legte er ihr ein Blatt Papier und eine Schreibfeder vor die Nase. Dann bat er sie, zweimal das Geschäft vom Vorabend aufzulisten. Einmal auf Schwedisch und einmal auf Holländisch. Agnes notierte, soweit sie sich erinnerte, die Menge der Waren und worauf man sich schließlich geeinigt hatte. Ganz unten auf den Bogen Papier schrieb sie ein kleines Glossar.
»Fass – Vat«
»Fässer – Vaten«
»Sack – Zak«
»Säcke – Zakken«
Sie fügte ebenfalls den Umfang der Fässer und Säcke im Verhältnis zu ihrer üblichen Größe hinzu, weil diese Besonderheit gestern das Missverständnis verursacht hatte. Sie brauchte zehn Minuten. Anschließend zog der Kaufmann ein Blatt aus einer Schublade und schob es Agnes hinüber.
Es war die Liste, die er selbst angefertigt hatte, und nun mit ihrer verglich. Zufrieden lächelnd tippte er mit dem Zeigefinger auf die beiden Endsummen, die miteinander übereinstimmten.
»Und das haben Sie aus dem Gedächtnis gemacht. Es beweist, dass Sie ein heller Kopf sind und maßvoll mit Schnaps umzugehen wissen. Ihre Fähigkeiten kann ich gebrauchen. Haben Sie vor, in Marstrand zu
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