Die Waechter von Marstrand
gehen?«
»Ja, wegen der Leiche im Alten Moor. Vielleicht befindet sich der Täter noch auf der Insel.«
»Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen, aber wenn du kurz wartest, begleite ich dich.« Ohne sich um Vendelas Widerworte zu scheren, stieg Astrid in ihre abgeschnittenen Gummistiefel.
Die Nacht war warm. Es duftete nach Sommer und taufeuchten Wiesenblumen. Wenn sie die Augen schloss und sich nur auf die Gerüche und Geräusche der Natur konzentrierte, könnte sie nahezu blind erkennen, wo auf Klöverö sie sich befand. Für Astrid war das mit Sicherheit ein Kinderspiel, dachte Vendela.
»Das Alte Moor«, sagte Astrid. »Ich weiß noch, dass mein Vater mal mit irgendeinem Geschäftsfreund untersuchen wollte, wie tief es ist. Ich war noch ein Kind und habe keine Ahnung, um was für eine Geschäftsidee es ging, vielleicht wollten sie ja Torf abbauen. Er hatte jedenfalls einen Spaten dabei. Der war nigelnagelneu.«
»Wie tief ist denn das Moor?«
»Gute Frage. Der Spaten ist restlos verschwunden. Wir konnten ihn nicht wiederfinden, obwohl wir gebuddelt haben. Die alten Leute haben immer behauptet, dass Moor wäre grundlos. Offenbar ist vor langer Zeit ein Pferd darin versunken. Ich kann mir vorstellen, dass es immer noch da ist.«
»Und was ist mit der Frau, die sie gefunden haben?«, fragte Vendela.
»Ich weiß nicht. Hier auf der Insel ist so viel Schlimmes passiert.«
Vendela kam nicht dazu, sie zu fragen, was sie damit meinte.
Auf der linken Seite breiteten sich die Felder aus, und auf der rechten lag der Bremsegård. Der knorrige Umriss des Birnbaums zeichnete sich vor dem Nachthimmel ab.
»Ich habe kein gutes Gefühl dabei, wenn du alleinnach Hause gehst, Astrid. Du könntest doch bei uns übernachten.«
»Ach was.« Astrid nahm sie in den Arm. »Wir sehen uns morgen. Und jetzt schlaf gut.«
»Astrid?«, bettelte Vendela. »Willst du nicht doch lieber bleiben?«
»Wer, glaubst du, bekommt mehr Angst?« Astrid zeigte auf ihre abgeschnittenen Gummistiefel und den geblümten Bademantel. Ihre weißen Zähnen blitzten in der Dunkelheit. »Die oder ich?«
Zwischen Leben und Tod
Vier Stunden dauerte es, bis der Badezuber, den man nach oben geschleppt hatte, voll war. Agnes hatte vorgeschlagen, die Wanne in der Küche stehen zu lassen, weil es so viel einfacher gewesen wäre, das heiße Wasser vom Herd einzufüllen, aber Oskar fand es im Erdgeschoss zu kalt. Agnes fragte sich, ob er befürchtete, dass die Bediensteten hereinkämen, sie sehen und sofort begreifen würden, dass er hier oben keinen Mann, sondern eine Frau pflegte.
Während der letzte Kessel Wasser erwärmt wurde, aßen Agnes und Oskar wacholdergeräucherten Hering mit Rüben und Dicken Bohnen. Eigentlich hatte Agnes den ewigen Hering satt, aber heute schmeckte das Essen besonders gut. Vielleicht lag es an der Schlittenfahrt, vielleicht an der Gesellschaft. Vor allem freute sie sich darauf, mit dem ganzen Körper in das heiße Wasser einzutauchen. Oskar sagte, sie solle nach ihm rufen, wenn sie etwas brauche, und ging hinaus. Das Wasser duftete nach Lavendel, einige Blüten trieben auf der Oberfläche. Agnesseufzte vor Wohlbehagen, als sie in die Wanne stieg. Wärme umfing sie. Eine ganze Weile saß sie einfach da, genoss den Lavendelduft und spürte die heilsame Wirkung des Bades. Sie schloss die Augen und tauchte mit dem Kopf unter Wasser. Die Wunde brannte, als sie nass wurde. Die Wunde! Daran hatte sie gar nicht mehr gedacht. Sie schien aber gut zu verheilen. Sie griff nach einem Handtuch und tupfte die Haut rings um die Wunde trocken. So gefährlich würde ein bisschen Wasser schon nicht sein. Der Arzt hatte mit Nadel und Faden genäht, noch waren die schwarzen Stiche auf der weißen Haut deutlich zu erkennen. Sie wickelte sich ins Badetuch und stieg aus dem Zuber. Oskar hatte ihr etwas zum Anziehen bereitgelegt. Eine weiche Hose und ein Hemd auf den einen Hocker, ein Kleid auf den anderen. Bevor sie es anzog, fragte sie sich, wo das Kleid herkam. Dann zog sie es an, rubbelte ihr Haar trocken, legte sich auf die Chaiselongue und rief nach Oskar, um ihm zu sagen, dass das Badewasser noch warm sei. Er blieb eine Weile im Türrahmen stehen und sah sie einfach an. Sein Blick fiel auch auf den Stoff des Kleides, das von der Chaiselongue herunterhing.
»Es steht dir«, sagte er mit traurigem Gesicht.
»Wem gehört das Kleid?«, fragte sie.
»Meiner Schwester.«
»Und wo ist sie?«
»Am selben Ort wie deine Großmutter.«
»Das tut
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