Die Waechter von Marstrand
Stuhl näher an das Bett und drückte Oskar mit Gewalt auf den Sitz.
»Jetzt setzen Sie sich hierhin und sagen es ihr. Wir müssen ihr die Kraft geben, wieder gesund zu werden. Das ist die einzige Möglichkeit, alles andere haben wir schon versucht. Ich lasse Sie beide eine Weile in Ruhe.«
Er machte die Tür hinter sich zu. Oskar beugte sich über das Bett, küsste Agnes’ fiebrige Stirn und nahm ihre Hände.
»Liebe Agnes, verlass mich nicht. Jemand wie du ist mir noch nie begegnet. Bleib hier. Bleib bei mir.«
Er wusste nicht, ob sie ihn hörte, aber er hoffte es. Er tupfte ihre Stirn mit Lavendelwasser ab und sprach weiter. Über die Zukunft und seine Träume. Über seine Schwester und seine Mutter, die im Kindbett gestorben war.
Das Atmen schien ihr immer schwerer zu fallen. Oskar schrie nach dem Arzt, der sofort ins Zimmer stürzte.
»Wir müssen das Fieber senken! Schnell! Die Fenster.« Oskar reagierte sofort und riss alle Fenster im Saal auf.Eiskalter Wind wehte herein. Agnes erschauerte und öffnete für einen Moment die Augen.
»Agnes! Bleib bei mir, Agnes. Für immer. Werde meine Frau und bleib hier.«
Vielleicht holten Oskars Worte sie zurück, vielleicht war es aber auch ihre Großmutter, die an der Grenze zur anderen Seite stand und ihr ins Ohr flüsterte:
Geef niet op mijn kind. Gib nicht auf.
Am vierten Tag ließ sich eine Besserung erahnen. Die Atmung wurde leichter. Ab und zu kam Agnes zu sich. Sobald sie die Augen aufschlug, zwang Oskar sie, etwas zu trinken. Honigwasser, Brühe oder fette Kuhmilch. Oskar hatte die Haushälterin und den Arzt in die Apotheke und in Widells Laden geschickt, damit sie alles besorgten, was möglicherweise helfen konnte. Die Haushälterin hatte den Robbenfellkoffer aus dem Schrank bei Widells geholt, weil man ja ohnehin nicht wusste, wann und ob der wieder gebraucht würde, wie sie nüchtern feststellte. Daraufhin packte Kaufmann Widell einen großen Korb, für den er unter keinen Umständen Geld annehmen wollte. Er und seine Ehefrau ließen Agne die herzlichsten Grüße ausrichten. Der Arzt sah etwas verwundert aus, ließ es aber unkommentiert, dass die Grüße an einen Mann gerichtet waren, während seine Patientin doch eindeutig eine junge Frau war.
9
Das Kind war eingewickelt. Weicher Baumwollstoff umhüllte das Kleine. Behutsam zog Rechtsmedizinerin Margareta Rylander-Lilja den kleinen Jungen aus den schützenden Armen der Mutter. Es fühlte sich falsch an, ebenso wie das grelle Scheinwerferlicht, das auf den Jungen gerichtet war, der nun neben seiner Mutter auf einem Seziertisch lag. Trotzdem musste sie genau das tun. Ihm zuliebe. Beiden zuliebe.
In gedämpfter Stimmung standen Karin und Jerker in ihrer Schutzkleidung da, bevor sie systematisch mit der Spurensicherung begannen. Jerker reinigte die Fingernägel der Frau und sammelte alles ein. Falls die beiden einem Verbrechen zum Opfer gefallen waren, hatte die Frau während einer körperlichen Auseinandersetzung möglicherweise ihren Angreifer gekratzt. Mit etwas Glück würden sie Hautreste finden, aus denen sie DNA extrahieren konnten. Eine Weile arbeiteten sie schweigend.
Die langen Haare der Frau hingen über die Kante des Metalltisches. Ihr Mund war geöffnet, als habe sie gerade etwas sagen wollen, vielleicht hatte sie um Gnade gefleht oder um Hilfe gerufen. Vorsichtig klappte Margaretadie Unterlippe herunter und untersuchte die Zähne der Frau.
Seltsam, dachte sie.
»Normalerweise muss zuerst die Todeszeit bestimmt werden, aber in diesem Fall würde ich eher sagen, das Alter.«
»Aber der Junge ist doch noch wahnsinnig klein.« Jerker vermied es, das Kind anzusehen.
»Hm«, erwiderte Margareta grüblerisch, während sie die Untersuchungen und Messungen fortsetzte.
»Neugeboren«, sagte Jerker.
»Meiner Meinung nach müssen wir uns jedoch erst einmal Klarheit darüber verschaffen, wie lange die beiden im Moor gelegen haben.«
Margareta sah Karin an und deutete fast unmerklich mit dem Kinn auf Jerker.
»Holt ihr beide euch doch so lange einen Kaffee.«
»Kommst du mit, Jerker?«, fragte Karin.
»Äh, ja. Wir sind gleich wieder da.« Mit schweren Schritten ging Jerker zur Tür.
»Keine Sorge, ich brauch hier noch eine Weile. Oder wisst ihr was, ich will mich eigentlich gar nicht beeilen. Am besten melde ich mich bei euch, wenn ich fertig bin. Da die beiden sich so lange im schützenden Milieu des Moores befunden haben, untersuche ich sie sofort. Fahrt ihr nach Hause und legt euch
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