Die Waechter von Marstrand
nichts geworden.
Johan ging die Stufen hinunter, zündete die Petroleumlampe an und setzte einen Kessel Wasser auf, doch dann hörte Karin, dass er den Herd wieder ausschaltete.
»Ich glaube, du brauchst jetzt eher ein Glas Wein.«
Sie protestierte nicht, als er ihr ein Glas in die Hand drückte.
»Gib mir ein paar Minuten, dann mache ich uns schnell etwas zu essen.«
»Kannst du dich nicht einfach zu mir setzen?«
»Doch, natürlich, aber hast du denn keinen Hunger?«
»Das kann warten. Mir ist der Appetit vergangen. Was haben sie im Alten Moor gemacht? Wie sind sie dorthin geraten?« Karin dachte an die zerschundenen Füße der Frau. Und an den kleinen Jungen.
»Dein Telefon klingelt. Willst du nicht nachsehen, wer anruft?« Mit bekümmertem Blick suchte Johan ihr Telefon und reichte es ihr. Auf dem erleuchteten Display stand Rechtsmedizin Margareta .
»Hallo«, meldete sich Karin.
»Ich wollte dir nur erzählen, dass der Junge bereits tot war, als er im Alten Moor landete. Er hat einen Defekt an beiden Lungenflügeln, mit dem er sowieso nicht überlebt hätte. Jerker habe ich es auch schon gesagt. Nur, damit du Bescheid weißt.«
»Danke, Margareta.«
»Okay.«
Eine Zeitlang herrschte Stille.
»Karin?«
»Ja?«
»Wir tun, was wir können. Man darf nicht denken, dass es dafür zu spät ist oder dass wir es hätten verhindern müssen. Man kann nicht alles verhindern, und in der jetzigen Situation können wir nichts Besseres tun, als herauszufinden, was passiert ist.«
»Ich weiß.«
»Der Leichenfund heute ist uns allen an die Nieren gegangen.« Sie schwieg einen Moment. »Ist Johan bei dir?«
»Ja.«
»Das ist gut. Genießt den Rest des Abends, wir hören voneinander. Tschüs.«
»Tschüs.«
Der lange Weg über den Sund, 1794
Zwei Wochen blieb der Arzt auf Klöverö. Nachdem sich Agnes’ Zustand stabilisiert hatte, ging er mit Oskars Vater auf Robbenjagd und fuhr trotz der eisigen Kälte mit Oskar hinaus, um die Hummerkörbe zu leeren. Als sie schließlich auf dem Kai Abschied nahmen, waren sie gute Freunde geworden. Kurz bevor der Arzt an Bord ging, drehte er sich noch einmal zu Oskar um.
»Ich glaube, ich habe eine Lösung gefunden. Agnes Andersdotter wurde von ihrem Beschützer Agne Sundberg hierhergebracht, doch dann kehrte Agne Sundberg zurück nach Hause, weil er in Marstrand mit einem Messer verletzt worden war. Agnes Andersdotter begleitet ihn, aber vor Marstrandsö erleiden die beiden Schiffbruch. Agnes wird von Oskar Ahlgren gerettet. Die beiden lernen sich näher kennen und heiraten vielleicht sogar.«
Oskar blickte erstaunt auf und nickte.
»Agnes Andersdotter besitzt aber keinen Reisepass und hat sich nie in Marstrand angemeldet.«
»Stimmt.« Der Arzt zwirbelte seinen Schnurrbart. »Eigentlich hat sie Näverkärr nie verlassen.«
»Sie hätte mit einem Boot kommen können, das in Richtung Süden fuhr. Vor Klöverö ging sie unfreiwillig über Bord und wurde auf unseren Hof gerettet. Da sie all ihre Papiere verloren hatte, sich an nichts erinnerte und in einem jämmerlichen Zustand war, nahmen wir sie in unsere Obhut und holten auch noch einen Arzt dazu, als sie Fieber bekam. Allmählich kehrte ihr Gedächtnis zurück.«
»Hm. Denkt noch eine Weile darüber nach, bis ihr eine Erklärung gefunden habt, die auch den Pastor überzeugt. Melde dich, falls du meine Zeugenaussage benötigst. Vor allem pass gut auf sie auf. Die junge Dame ist nicht auf den Kopf gefallen. Wann kommt eigentlich der Pastor mit dem Kirchenbuch?«
»Ich nehme an, er wird im Laufe des Winters hier auftauchen. Wenn das Eis so dick ist, dass man darauf laufen kann.«
»Bis dahin solltest du dir eine Geschichte zurechtgelegt haben. Die Alternative wäre natürlich, nach Näverkärr zu fahren und mit ihrem Vater zu sprechen.«
Oskar winkte dem Arzt zum Abschied und ging zurück zum Hof. Agnes saß am Fenster. Die Sonne schienauf ihr Haar. Er wollte sie so gern berühren und nutzte jede Gelegenheit, um sie zu stützen oder zu tragen.
Oskar ging ins Obergeschoss hinauf. Er vermisste Agnes, sobald er sich von ihr trennte, und wollte immer so schnell wie möglich zu ihr zurückkehren. Das Haus erschien ihm warm und gemütlich, wenn sie da war. Ohne sie würde es schrecklich leer werden. Er wollte nicht, dass sie abreiste, aber irgendwie musste Agnes Andersdotter die Sache mit ihren Papieren in Ordnung bringen.
Als er ins Zimmer kam, stand sie am Fenster. Er strahlte über das ganze Gesicht, als er sie
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