Die Waechter von Marstrand
bloß nicht.« Jerker wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Sie könnte hier den ganzen Wintergelegen haben. Vielleicht ist hier im letzten Sommer was passiert?«
Karin nickte.
»Nur eine Sache passt nicht«, fuhr Jerker fort.
»Was denn?«, fragte Karin.
»Der Stoff, die Kleidung. Das sind alles Naturmaterialien. Wir haben keinen einzigen Knopf aus Plastik gefunden, kein Etikett, keinen Synthetikfaden.«
»Du meinst, die Leiche könnte richtig alt sein?«, überlegte Karin.
»Möglich. Die Natur verwischt ja schnell alle Spuren und lässt Gegenstände verschwinden.« Jerker deutete auf das Gras.
»Die Schnauzenbucht da unten ist ein beliebter Übernachtungshafen. Dort unten ist man so geschützt, dass fast das ganze Jahr über Boote liegen. Vor hundert Jahren war das vermutlich auch schon so.«
»Du meinst, dass Leute hier im Winter anlegen? Welcher normal tickende Mensch würde denn …« Er hielt inne und sah Karin an.
»Was wolltest du sagen?« Sie grinste. »Welcher normal tickende Mensch legt hier im Dezember an oder wohnt gar auf einem Boot?«
»Gute Frage. Betrachte dich selbst als abschreckendes Beispiel.«
»Na super.«
»Ist doch so.« Jerker machte ein zufriedenes Gesicht.
»Wenn ihr beide fertig seid, können wir vielleicht weiterarbeiten.« Robert schob seine Sonnenbrille hoch.
»Oder sollen wir lieber baden gehen?«, schlug Jerker vor. »Es ist tierisch heiß.«
»Okay, wir legen eine Pause ein. Wer will, kann baden gehen«, sagte Karin. »Zieht euch bitte alle eine Badehose an, damit wir uns nicht anhören müssen, dass die Polizei aus Västra Götaland in der Arbeitszeit nackt herumläuft.«Niemand hatte etwas dagegen einzuwenden. Außer Karin und Robert gingen alle zu den Klippen hinunter, um das ersehnte Bad zu nehmen.
»Was ist hier bloß passiert?«, fragte Karin ihren Kollegen. Sie sah sich um. Der Ort war schön und wirkte idyllisch, aber das Moor konnte trügerisch sein.
»Wenn ich das wüsste. Ich muss die ganze Zeit daran denken, wie es Sofia nach ihren Entbindungen ging. Es gehört einiges dazu, damit sich eine Frau so kurz nach der Entbindung ihr Kind schnappt und damit losläuft.«
Sofia war Roberts Frau und die Mutter der drei gemeinsamen Kinder. Er setzte sich die Sonnenbrille wieder auf.
»Sie muss um das Leben des Kindes gebangt haben. Ansonsten hätte sie sich niemals auf den Weg gemacht.«
Karin erinnerte sich wieder an die zerschundenen Füße der Frau, aber auch an das, was Margareta ihr am Telefon erzählt hatte.
»Der Junge war bereits tot, bevor er im Moor versank. Seine Lungen hatten sich nicht richtig entwickelt. Er hätte sowieso nicht überlebt.«
»Als Vater von drei kleinen Kindern geht es mir unheimlich nahe, wenn Kinder betroffen sind.« Robert schüttelte den Kopf.
»Da drüben ist noch ein Moor.« Sie zeigte nach Süden. »Das Große Moor.«
Robert nickte. »Stimmt, das habe ich auf der Karte gesehen. Auf dieser Insel scheint es viele Moore zu geben.«
»Ich frage mich, woher sie kam und wohin sie wollte.«
Jerker kam zurück. Er ging hastig über die Klippen, aber vorsichtig über den Sumpf.
»Hast du schon gebadet?«, fragte Robert erstaunt.
»Traust du dich nicht ins Wasser?« Karin grinste.
»Wir können einpacken.« Jerker machte ein ernstes Gesicht.
»Wie meinst du das?«, fragte Karin.
»Margareta hat angerufen. Alles deutet darauf hin, dass die Leichen hier schon lange liegen.«
»Du meinst, sie haben hier überwintert?«
»Das kann man so sagen. Sie liegen wahrscheinlich schon manchen Winter hier. Seit dem frühen neunzehnten Jahrhundert. Das ist allerdings nur eine erste Schätzung.«
»Wie bitte?«
»Ja. Das hat Margareta gesagt. Sie hat den Mageninhalt der Frau analysiert. Die Kleidung ist alt und handgefertigt. Die Frau ist durch einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf zu Tode gekommen. Ich soll dir ausrichten, dass du sie gern anrufen kannst, dann erzählt sie dir noch mehr.«
»Sollen wir den Fall nun einfach abschließen? Das wäre doch verrückt. Jetzt habe ich noch mehr Fragen. Neunzehntes Jahrhundert?« Die letzten Worte hatte Karin nur noch vor sich hingemurmelt.
»Die Zeitangabe darf man nicht auf die Goldwaage legen. Warte es ab, bis wir die Laborergebnisse haben, dann wissen wir es genauer. Wenn sie in der Erde gelegen hätten, wären nur noch die Knochen von ihnen übrig, aber das Moor hat die ganzen Körper konserviert. Organisches Material wird hier nicht so schnell zersetzt, weil das Wasser steht,
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