Die Waechter von Marstrand
ganze Weile gedauert hatte. Wie lange war sie auf dem Klo eingesperrt gewesen?
»Wann hast du sie zuletzt gesehen, Astrid? Ich versuche, zu beurteilen, wie lange sie hier schon liegt.«
»Ich weiß nicht.« Astrid wischte sich nervös die Hände an ihrer Schürze ab.
»Was schätzt du denn, verflucht noch mal?«, schrie Rickard. »Fünf Minuten oder eine halbe Stunde.«
»Eher … eine halbe Stunde.«
»Oh, mein Gott. Und wo bleibt der verdammte Helikopter? Begreifen die nicht, dass es eilt? Hast du noch einmal angerufen?«
»Ja. Ich habe ihnen auch gesagt, dass es um einen Wespenstich geht. Und dass sie einen anaphy…, dass sie gegen Wespen allergisch ist. Bei meinem zweiten Anruf war der Hubschrauber bereits in der Luft.«
Astrid nickte, rieb wieder an der Schürze und blickte zum Himmel.
»Jessica? Jess? Liebling, der Helikopter ist unterwegs, und ich habe dir die Spritze gegeben. Es wird dir gleich besser gehen.«
Nun waren aus der Ferne Motorengeräusche zu hören, die immer lauter wurden, bis die Rotorblätter direkt über ihren Köpfen dröhnten. Der Hubschrauber landete vor Astrids Haus, und ein Arzt mit einem Notfallrucksack sprang heraus. Die Krankenschwester, ebenfalls mit einem Rucksack bepackt, war ihm dicht auf den Fersen. Nadeln wurden in Jessicas Arme gesteckt. In dem Versuch, den allergischen Schock zu beheben, wurden Adrenalin und Kortison durch ihren Körper gepumpt. Freundlich, aber bestimmt wurde Rickard aufgefordert, zur Seite zu gehen, damit sie in Ruhe arbeiten konnten. Astrid nahm ihn am Arm. So standen sie zusammen im Garten und sahen dem Rettungsarzt zu.
Sie müsste doch jeden Moment die Augen aufschlagen und ihn ansehen. Ihr gemeinsames Leben hatte doch gerade erst begonnen, es konnte doch nicht schon wiedervorbei sein? So viele Tapetenmuster lagen bei ihnen zu Hause rum, weil sie sich nie einig wurden. Das Einrichtungsgeschäft hatte schon mehrfach angerufen und seine Kataloge zurückverlangt. Rickard hatten diese Telefonate sehr belastet, aber nun zählte das alles nicht mehr. Sogar die scheußliche Tapete mit den goldbraunen Medaillons, die es Jessica so angetan hatte, war ihm nun vollkommen gleichgültig. Was spielte das jetzt noch für eine Rolle. Er wünschte, er hätte gesagt: »Natürlich nehmen wir die.«
Der Arzt und die Krankenschwester arbeiteten konzentriert, bis sie schließlich zuerst einander und dann Rickard ansahen. Der Arzt notierte den Zeitpunkt, stand auf und ging zu Astrid und Rickard hinüber.
»Es tut mir leid. Wir konnten nichts mehr für sie tun. Die Spritze kam zu spät.« Der Arzt hatte Rickard eine Hand auf die Schulter gelegt, während er das sagte.
»Ich verstehe das nicht. Ist sie tot? Sie kann doch nicht einfach sterben, das ist euch doch wohl klar. Ihr müsst ihr helfen!«
Die Krankenschwester trat zu Astrid, während der Arzt Rickard zu einem Gartenstuhl führte.
»Was ist eigentlich passiert? Warum hat sie sich ihre Spritze nicht gegeben? Die Tasche ist doch voller Antihistaminika und Kortison. Sie wusste also von der Allergie.« Die Krankenschwester sah Astrid durchdringend an.
»Die Tasche hing an der Bank.« Astrid zeigte auf die weißen Gartenmöbel, auf denen sie vorhin noch mit Jessica Kaffee getrunken hatte. Nun saßen Rickard und der Arzt dort. »Sie muss auf dem Klo gestochen worden sein. Ich nehme an, dass sie nicht hinauskonnte, weil der Riegel hinuntergefallen war.«
»Und wo waren Sie zu dem Zeitpunkt? Saßen Sie nicht hier und haben Kaffee getrunken?«
»Damit waren wir fertig. Ich war hinter dem Haus und habe Kartoffeln von meinem Acker geholt. Sie wollte die Kartoffeln mit auf den Bremsegård nehmen.« Astrid schüttelte den Kopf. »Ich muss jetzt Vendela anrufen, das ist Rickards Schwester.«
Die Krankenschwester sah Astrid an.
»Ich muss die Polizei einschalten, damit aufgeklärt wird, was hier passiert ist.«
»Ist das wirklich notwendig? Ist denn nicht schon alles schlimm genug?«, fragte Astrid. »Armer Rickard.«
Der Brief an die Königin, 1837
Aleida hatte lange überlegt, an wen sie den Brief richten solle, aber die Königin war die naheliegendste Adressatin. Anfangs hatte sie geglaubt, dass man auch ohne ihr Zutun nach ihr Ausschau halten würde, aber man konnte schließlich nicht wissen, wo sie sich befand. Als niemand kam, beschloss sie, in einem Brief um Hilfe zu ersuchen. Sobald die Königin begriff, dass der Brief von Aleida stammte, würde ein Schiff nach Marstrand geschickt werden, das wusste sie. Es
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