Die Waechter von Marstrand
gab nur eine einzige Person auf dieser gottverlassenen Insel, die sie bitten konnte, den Brief für sie abzuschicken. Die Frau, die Holländisch sprach. Agnes.
Die Brombeeren waren reif, und überall waren Frauen und Kinder unterwegs und pflückten die schwarzen Beeren. Agnes und ihre Tochter waren hinauf nach Dammarna gegangen. Den ganzen Vormittag hatten sie Brombeeren gepflückt. Aleida war ihnen in einiger Entfernung gefolgt und hoffte, einen Moment allein mit Agnes sprechen zu können.Erst am Abend verließ die Tochter Agnes’ Haus. Aleida schlich sich heran, als sie die Frau tatsächlich allein zu Hause wusste. Da das Boot nicht am Steg lag, schien ihr Mann auch fort zu sein.
Agnes war draußen und holte Wasser vom Brunnen. Sie hatte die beiden vollen Eimer gerade in der Küche abgestellt, als an die Tür geklopft wurde. Aleida sah die Angst in ihrem Gesicht. Offenbar wusste sie nicht, wie sie auf den unerwarteten Besuch reagieren sollte.
»Ich habe sonst niemanden, an den ich mich wenden kann.«
Agnes signalisierte ihr mit einer knappen Kopfbewegung, dass sie mitkommen sollte. Dann band sie sich ihre Schürze um, stieg in ihre Schuhe und ging hinaus in den Stall. Aleida folgte ihr. Zu Hause war sie diejenige, die mit kleinen Gesten Anweisungen erteilte. Welche Gläser für die Gäste auf den Tisch gestellt werden sollten, und welches Dessert am besten dazu passte. An diese barbarische Welt hier würde sie sich niemals gewöhnen. Und hoffentlich war sie auch nicht gezwungen, noch lange hier auszuharren. Alles war grau und braun, kalt, übel riechend und ungastlich. Die groben Stoffe behagten ihrer Haut nicht, und die harten Schuhe schienen aus einem einzigen Stück Holz geschnitzt zu sein. Der Fisch war zu salzig, und das Brot musste man einweichen, bevor man es kauen konnte. Immer wieder kamen ihr die Pfirsiche zu Hause in den Sinn. Die weiche Schale und der süße Geschmack. Wenn sie doch nur diesen Brief auf den Weg bringen, von hier wegkommen und ihr altes Leben wieder aufnehmen könnte. Hendrik war tot, ihm war nicht mehr zu helfen, aber sie konnte versuchen, ihr eigenes Leben zu retten.
» Een brief ?«, fragte Agnes im dunkelsten Winkel des Stalls. Sie sah sich um. »An wen?«
» Aan die Koningin van Holland «, antwortete die Frau leise.
»Die Königin?« Agnes sah sie skeptisch an. Konnte es wirklich stimmen, dass diese Frau die Königin von Holland kannte und der Brief an sie gerichtet war?
»Wir sind gut befreundet.«
Agnes sagte nichts. Aleida fuhr fort:
»Ich habe sie aus einer gefährlichen Situation gerettet. Seitdem sind wir Freunde. Wenn sie erfährt, dass ich in Schwierigkeiten bin, wird sie Hilfe schicken. Sie werden mich holen.«
»Die Königin?«, wiederholte Agnes zweifelnd.
»Darf ich Sie bitten, diesen Brief für mich abzuschicken? Entweder an die Königin oder an den holländischen Botschafter. Es ist wichtig. Sie bringen sich damit nicht in Gefahr. Ich werde Sie nirgendwo erwähnen.«
Agnes wusste nicht, was Sie darauf erwidern sollte.
Aleida reichte ihr den Brief. Agnes steckte ihn sofort in ihre Schürzentasche.
»Dank U wel«, flüsterte Aleida. Sie ging zur Stalltür und sah sich sorgsam um, bevor sie fortging. Agnes blickte ihr hinterher, während die Frau verschwand, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Die Arme, dachte Agnes. Ein Brief an die Königin. Sie wartete, bis Aleida außer Sichtweite war. Erst dann kehrte sie zum Haus zurück. Der Brief in ihrer Schürzentasche machte sie ganz verrückt. Wo sollte sie ihn aufbewahren? Was, wenn jemand während ihrer Abwesenheit ins Haus kam und ihn fand? Agnes sah sich nach einem Versteck um. Möglicherweise kannte die Frau tatsächlich die holländische Königin so gut, dass diese ein Schiff losschicken würde, um sie zu holen.
Auch wenn die Frau auf der Insel abgemagert war, verbarg sich unter ihren zerrissenen Kleidern und den ungewaschenen Haaren ein gut genährter, gesunder Körper.Agnes dachte an die stolze Haltung und sah vor ihrem geistigen Auge, wie die Frau vor einem Tor kurz stehen blieb, als erwarte sie, dass es jemand für sie öffnen würde. Sie sprach das Holländisch der höheren Stände. Genau wie ihre Großmutter. Guter Gott, dachte Agnes, vielleicht hatte sie recht. Sie betastete den Brief in ihrer Schürzentasche. Wenn sie ihn abschickte, würde vielleicht die gesamte holländische Flotte hierherkommen und sich rächen. Was sollte sie tun? Oskar von dem Brief zu erzählen, war undenkbar. Er hätte ihn
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