Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms
ihre Wange gefallen, eine andere über ihren langen Hals. Ihr weißes Kleid, am Hals getupft mit blutroten Blumen, stand ihr gut, und zwar rundum. Ich nehme an, heutzutage würde man dieses Kleid unauffällig nennen. Es zeigte nur wenig, ließ aber viel erahnen.
»Wie geht’s meinem Lieblingsleser?«
»Danke, gut«, sagte ich.
Auf irgendeiner Ebene registrierte ich an diesem Abend, dass Mrs. Canerton mehr als nur eine Witwe und, wie meine Mutter, sehr hübsch war. Und wenn sie in diesem weißen, rot geblümten Kleid durch den Raum schwebte, wirkte sie hinreißend.
Dass sie all diese Männer – inklusive Cecil – hatte stehen lassen, um zu mir zu kommen, gab mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Ich sah, dass alle ein bisschen eifersüchtig waren, weil sie beschlossen hatte, mir ihre Zeit zu schenken.
Sie nahm mich zur Seite und ließ mich auf einem Sessel aus rotem Samt Platz nehmen, setzte sich mir gegenüber auf einen Holzstuhl und griff in ihr Bücherregal. »Hast du Washington Irving gelesen?«, fragte sie.
Ich sagte, nein, den hätte ich nicht gelesen. Ich ertappte mich dabei, wie ich in ihre blauen Augen starrte, auf ihre porzellanweiße Haut, ihre vollen Lippen.
Nachdem ich Mrs. Canerton erklärt hatte, dass ich Washington Irving nicht nur nicht gelesen hatte, sondern nicht einmal wusste, wer das war, sagte sie: »Du solltest aber wissen, wer das ist. Und das wirst du auch. Hier drin ist eine Geschichte, die dir besonders gefallen wird. Über den kopflosen Reiter. Weil du und Tom ja nicht gerade viel an Schulbildung bekommt, müsst ihr auf dem Laufenden gehalten werden. Wenigstens, was gute Bücher betrifft. Ich komme in ein paar Tagen vorbei, und bis dahin liest du das hier. Ich bringe dir noch ein paar andere.«
»Vielen Dank, Ma’am.«
Ich war zwar glücklich, das Buch zu haben, aber alle meine Freunde spielten draußen, und da wollte ich auch sein. Nicht nur, um zu spielen, sondern auch, um von Mrs. Canerton wegzukommen. Sie gab mir ein sehr merkwürdiges Gefühl; ihr Gesicht war nahe an meinem, und ihr Atem war süß wie heißer Pfirsichkuchen. Mir war warm geworden, und es juckte mich plötzlich überall.
Außerdem warteten Mrs. Canertons männliche Freunde darauf, dass sie endlich zurückkäme. Cecil kam herüber zu uns und sagte: »Versuchst du etwa, mir mein Mädchen auszuspannen?«
Er trug einen steifen schwarzen Anzug, der an Knien und Ellbogen glänzte, ein weißes Hemd und einen schlaffen schwarzen Schlips.
»Nein, Sir«, sagte ich.
»Seien Sie nicht albern«, sagte Mrs. Canerton. »Ich bin nicht Ihr Mädchen, Cecil.«
»Siehst du«, sagte Cecil und sah mich mit gespielter Verzweiflung an, »schon passiert. Du hast sie mir ausgespannt. Wir sollten uns duellieren, mit Säbeln, im Morgengrauen. Der Preis sei Louise!«
Erst da realisierte ich, dass sie einen Vornamen hatte.
»Jetzt hören Sie auf, so kindisch zu sein«, sagte Mrs. Canerton – aber es war offensichtlich, dass ihr das alles sehr gefiel.
Dr. Taylor kam zu uns herüber, zwängte sich zwischen mich und Cecil und berührte Mrs. Canertons Arm.
»Ich sage euch, wessen Mädchen sie ist«, sagte er. »Meines.«
Alle drei lachten und gingen zurück zu der Gruppe von Männern, die Mrs. Canerton vorhin umringt hatten. Ich sah ein paar Frauen auf der anderen Seite des Raumes, zurechtgemacht und hübsch, die stirnrunzelnd zu der Gruppe herüberschauten, und ich erinnere mich, dass ich etwas später im Gemischtwarenladen aufschnappte, wie eine dieser Frauen darüber redete, wie peinlich das gewesen sei: Mrs. Canerton mit all diesen Männern um sie herum, sie solle sich was schämen; und für mich hatte es sehr nach den berühmten sauren Trauben geklungen.
Ich fand Mama und gab ihr das Buch. Sie war in der Küche, saß an dem überladenen Küchentisch mit dem Rest der Frauen bei dem, was sie Hennenparty nannte.
Als ich wieder ins Wohnzimmer kam, sah ich auf der gegenüberliegenden Seite Dr. Stephenson. Er war in seinem Stuhl zusammengesunken und sah betrunken aus. Ich hatte ihn nicht bemerkt, als ich angekommen war – aber ich hatte sowieso nicht viel bemerkt. Meine ganze Aufmerksamkeit hatte von Anfang an Mrs. Canerton gegolten.
Dr. Stephenson blickte kurz zu mir herüber, und sein Gesichtsausdruck wurde noch verdrossener. Ich nahm an, dass er immer noch wütend auf Daddy war. Dann schritt Mrs. Canerton vorbei, mit Cecil, der ihr wie ein Hündchen folgte, die anderen Männer knapp dahinter – allen voran
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