Die Wälder von Albion
Liebe kann keine Einbildung sein, beruhigte sie sich. Bestimmt sehnte er sich nach ihr wie sie sich nach ihm.
Vielleicht suchte auch Gaius verzweifelt nach einer Möglichkeit, in Verbindung mit ihr zu treten. Es war sicher nur eine Frage der Zeit, bis es ihm gelang.
Ich muß Geduld haben, und wenn es ihm gelingt, dann bin ich bereit. Dann werde ich wissen, was ich tun muß.
Eilan überlegte, ob sie Senara ins Vertrauen ziehen sollte. Aber das durfte sie nicht tun. Wenn man sie als Priesterin von Vernemeton in der Gesellschaft eines Römers entdecken würde, dann hätte das schwerwiegende Folgen - mochten ihre Motive auch noch so harmlos sein.
Doch waren sie das wirklich?
12. Kapitel
Nach der Begegnung auf dem Fest hatte Gaius nichts dagegen einzuwenden, als sein Vater das Versprechen wahrmachte und ihn als seine rechte Hand in Deva behielt. Macellius war zufrieden, er sah sich der Erfüllung seiner Ziele wieder einen Schritt näher. Er ahnte natürlich nichts von den Absichten seines Sohnes, der Tag für Tag nichts anderes im Sinn hatte, als einen Weg zu finden, Eilan wiederzusehen.
Aber die Erfahrungen hatten ihn gelehrt, daß auch er klug sein und auf den richtigen Zeitpunkt warten mußte. Deshalb fügte sich Gaius in den langweiligen Dienst in der Präfektur, aber er tat es nun mit anderen Augen. Er verschaffte sich Einblick in das politische und militärische Tagesgeschehen und hörte sich aufmerksam an, was in der Provinz geschah. Er beschäftigte sich mit den Druiden, wann immer er etwas über sie in Erfahrung bringen konnte. Er erkundigte sich auch vorsichtig nach Vernemeton und dem Leben der Priesterinnen. Das alles half ihm, geduldig an der Seite seines Vaters auszuharren und sich gewissenhaft mit den wenig erfreulichen Dingen im Alltags eines Lagerpräfekten auseinanderzusetzen.
Während Eilan mit Senara spielte und darüber nachgrübelte, wie sie Gaius wiedersehen konnte, geschah am selben Vormittag in Deva etwas, das Gaius neue Hoffnung schöpfen ließ.
Valerius, der Sekretär seines Vaters, erschien niedergeschlagen und sichtlich erschüttert zum Dienst. Als sich Gaius erkundigte, was geschehen sei, erwiderte Valerius: »Ich habe gerade erfahren, daß meine Schwester gestorben ist.«
»Das ist traurig«, erwiderte Gaius höflich. Er mochte den eigenwilligen Sekretär, und während sie über den Exerzierplatz zur Präfektur gingen, fragte er teilnahmsvoll: »Wie ist es denn geschehen?«
Valerius seufzte. »Das ist eine lange Geschichte. Ich habe meine Schwester aus den Augen verloren, als sie geheiratet hat. Um ehrlich zu sein, ich habe sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen, und jetzt ist es zu spät.«
»Ist sie mit ihrem Mann weit weggezogen?«
Valerius lachte gequält. »Nein, sie war in Deva, aber sie hat einen Mann der Stämme geheiratet, und mein Vater hat sie aus der Familie ausgestoßen.«
Gaius nickte. Für einen Römer war es schlimm, eine einheimische Frau zu heiraten, auch wenn sie aus einer der angesehensten Familien kam. Wie oft hatte ihm sein Vater das gepredigt! Aber die römische Gesellschaft war in dieser Hinsicht unerbittlich und zeigte erst recht kein Erbarmen mit einer Tochter, die sich ihren Eltern widersetzte und einen Britonen so sehr liebte, daß sie mit ihm davonlief.
»Eine alte Frau… sie war die Amme meiner Schwester und auch meine… hat mir die Nachricht zukommen lassen«, fuhr Valerius fort. »Ihren Mann habe ich nur einoder zweimal gesehen. Er heißt Hadron, und zu allem Unglück gehört er auch noch zu den Raben und wurde geächtet. Es ist schrecklich. Sie hat eine kleine Tochter, und ich weiß nicht, was aus dem Kind werden soll.«
»Ich kenne jemanden, der vielleicht… «, sagte Gaius langsam und dachte an Cynric. Inzwischen hatte Gaius sehr viel mehr Verständnis für den jungen Riesen als damals. Und er wunderte sich nicht darüber, daß ein Mann wie er einer geheimen Bruderschaft angehörte. An seiner Stelle hätte Gaius vermutlich ebenso empfunden.
»Wie auch immer«, sagte Valerius, »ich muß das Kind meiner Schwester finden. Hadron hat einen Ziehbruder bei den Hilfstruppen. Von ihm weiß ich, daß der Mann meiner Schwester niemanden hat, dem er das Kind anvertrauen kann. Das heißt, ich bin der einzige Verwandte des Mädchens. Aber kannst du dir vorstellen, daß ich plötzlich der Vater eines achtjährigen Kindes bin?«
Valerius lachte wieder, aber es klang eher wie unterdrücktes Seufzen.
»Zuerst mußt du sie finden… «, erinnerte ihn
Weitere Kostenlose Bücher