Die Wälder von Albion
schwieriger, aber sie kam gewissenhaft allen Pflichten nach, denn sie wußte, ihre Wünsche und Sehnsüchte spielten keine Rolle, wenn der Rat der Druiden sie zur Nachfolgerin Lhiannons wählen würde. Mit diesem Wissen wuchs auch ihre Kritik.
Ihr entging zum Beispiel nicht, daß Ardanos vor jedem Ritual bei Lhiannon erschien. Angeblich wollte er ihr bei den Vorbereitungen helfen - so hieß es offiziell. Aber einmal war die Tür zu Lhiannons Raum nicht richtig geschlossen. Eilan sah die Hohepriesterin bereits in Trance in ihrem Sitz, während Ardanos ihr mit großem Nachdruck etwas ins Ohr flüsterte.
Als dann in der Nacht das Ritual stattfand, beobachtete Eilan die Hohepriesterin mit besonderer Aufmerksamkeit. Lhiannon kämpfte lange in ihrer Trance, sie wand sich und murmelte unverständliche Worte. Dann gab sie ein paar klare Antworten, aber es hatte den Anschein eines zähen Ringens wie bei einem Pferd, das sich gegen den zu straffen Zügel wehrt. Etwas in der Priesterin schien gegen die Kraft zu kämpfen, die durch sie hindurchfloß.
Man hat sie gefesselt!
Eilan begriff plötzlich mit Entsetzen, was der höchste Druide getan hatte, als sie später an Lhiannons Bett saß.
Die Priesterschaft, an ihrer Spitze Ardanos, fesselt sie mit Zaubersprüchen, damit sie nur das aussprechen kann, was dein Willen der Priester entspricht!
Vielleicht kam es deshalb manchmal vor, daß die Göttin trotz des Rituals nicht erschien und Lhiannon aus ihrem eigenen Wissen heraus antwortete oder gehorsam die Worte des höchsten Druiden wiederholte. Wenn das geschah, so stellte Eilan fest, war die Zeremonie sehr aufreibend und ohne den Höhepunkt der echten Ekstase. Erschöpfung und stechende Kopfschmerzen stellten sich schon während des Rituals auch bei Eilan ein.
Aber selbst wenn sich Lhiannon in einer echten Trance befand, konnte das Orakel nur die Fragen beantworten, die man stellte. Eilan kam allmählich der Verdacht, daß die Druiden auch genau kontrollierten, wer das Orakel überhaupt befragen durfte.
Manchmal übermittelte Lhiannon auch echte Orakelsprüche, aber Eilan stellte fest, daß es sich dabei immer um Dinge mit geringer Tragweite handelte. Und wenn die Antworten von der Göttin kamen, so hatten sie kaum Auswirkungen für jene, die fragten, und jene, die sie hörten.
Als Eilan das böse Spiel durchschaut hatte, wollte sie sich beschweren. Aber bei wem? Bestimmt nicht bei Ardanos oder der Priesterschaft. Die Priesterinnen, die sie besser kannte, hatten bereits einiges von dem angedeutet, was sie nun in aller Klarheit begriffen hatte.
Aber in Vernemeton galt für alle die unumstößliche Regel: Wir dienen der Göttin, und Lhiannon ist IHRE Stimme. Die Hohepriesterin weiß alles, und sie muß entscheiden, was geschieht. Wir beugen uns ihrem Willen!
Zu diesem Grundsatz hatte sich auch Caillean immer bekannt und ihn mit aller Entschlossenheit vertreten. Selbst Dieda wich davon nicht ab, auch wenn ihre Äußerungen manchmal sehr kritisch und fast rebellisch klangen.
Natürlich mußte Lhiannon wissen, was man ihr antat. Sie hatte sich unter den Einfluß der Priesterschaft begeben, als sie das Amt der Hohenpriesterin übernahm. Wenn sie von den Druiden zu einem Sprachrohr gemacht wurde, dann geschah es mit Lhiannons Zustimmung. Es war ihr Wille.
Soweit war Eilan in ihren Einsichten gekommen, als Lhiannon sie eines Morgens zu sich rief. Sie hatte einen Besucher. Der Mann erinnerte Eilan irgendwie an Cynric. Bei ihm war ein etwa acht-oder zehnjähriges Mädchen mit hellroten Haaren, in denen das Gold der Sonne zu leuchten schien. Eilan lächelte das Mädchen an, das sofort verlegen zu Boden blickte.
Lhiannon sagte: »Das ist Hadron. Er gehört zur Bruderschaft der Raben, und man ist auf ihn aufmerksam geworden. Deshalb… ach, Hadron, erzähl deine Geschichte selbst.«
»Da ist wenig zu sagen«, erwiderte der Mann. »Meine Frau ist vor kurzem gestorben. Nach ihrem Tod hat man entdeckt, daß ich zu den Raben gehöre, und man hat mir den Prozeß gemacht. Ich habe einen Ziehbruder, der bei den Hilfstruppen dient. Er hat sich für mich eingesetzt, sonst hätte man mich in die Bleiminen geschickt. Dank seiner Bitten hat man mich begnadigt. Ich darf mich allerdings zehn Jahre lang nicht mehr auf römischem Gebiet sehen lassen. Deshalb muß ich in den Norden gehen… Ich kann unmöglich ein kleines Mädchen mitnehmen.«
»Aber wo liegt das Problem?« fragte Eilan. Sie wußte, Lhiannon besaß die Macht, die Kleine in
Weitere Kostenlose Bücher