Die Wälder von Albion
überwand ihre Ängste jedoch schnell und erwiderte entschlossen: »Ich verstehe dich, und ich bin bereit, mich der Prüfung zu unterziehen.«
»Gut, dann soll es geschehen«, sagte Caillean. »In IHREM Namen mache ich dich zur Anwärterin auf das Priesteramt.«
Sie küßte Eilan auf die Stirn, und Eilan erinnerte sich an den ersten Abend in Vernemeton, als alle Priesterinnen sie mit einem Kuß begrüßt hatten. Beide Augenblicke verschmolzen miteinander, und der Gegenwart entrückt hatte sie plötzlich den Eindruck, etwas zu erleben, das schon viele Male geschehen war.
»Am Vollmond vor Samhain wirst du deine Gelübde in Anwesenheit aller Priesterinnen ablegen. Lhiannon, dein Vater und dein Großvater werden sehr zufrieden sein.«
Eilan schüttelte den Kopf. Sie tat das bestimmt nicht ihrem Vater oder Ardanos zuliebe! Caillean hatte sie aufgefordert, sich zu entscheiden. Aber hatte sie eigentlich einen freien Willen? Wurde sie nicht gelenkt von den Erwartungen ihrer Familie und anderen Kräften, die sie kaum wahrnehmbar um sich spürte, die sie jedoch ihrem Willen unterwarfen?
»Caillean… «, flüsterte sie und drückte sich an die Priesterin, »wenn ich mich der Göttin weihe, dann geschieht es nicht, weil ich die Tochter und Enkeltochter von Druiden bin, nicht einmal deshalb, weil ich Gaius nie wiedersehen werde. Es muß einen anderen Grund geben, etwas, das umfassender ist.«
Caillean seufzte. »Als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, hatte ich den Eindruck, daß du in Vernemeton eine Aufgabe hast.« Langsam fuhr sie fort: »Jetzt spüre ich das noch deutlicher. Aber ich kann dir nicht versprechen, mein Kind, daß du glücklich sein wirst.«
»Das erwarte ich nicht… « Sie unterdrückte ein Schluchzen. »Wenn es nur einen Grund gibt, ein Ziel, einen Sinn in allem!«
Caillean drückte sie fest an sich, und Eilan spürte, wie sich der Knoten in ihrer Brust löste, als die ältere Priesterin ihr zärtlich über die Haare strich.
»Es gibt immer einen Sinn, Liebes, obwohl viel Zeit vergehen kann, bis man ihn erkennt… Mehr Trost kann ich dir nicht schenken. Wenn die Göttin nicht weiß, was SIE tut, welchen Sinn kann es dann für die Menschen geben?«
»Es ist genug, wenn du mich immer liebst«, flüsterte Eilan und hörte den ruhigen und langsamen Herzschlag Cailleans.
»Das werde ich… «, erwiderte Caillean kaum hörbar. »Ich liebe dich so, wie Lhiannon mich stets geliebt hat… «
Der Vollmond blickte wie ein wachsames Auge vom Himmel, als habe Arianrod beschlossen, persönlich die Zeremonie zu überwachen. Als der Gesang der Priesterinnen, die Eilan an diesen Platz geführt hatten, verhallte und Stille der Nacht sie umgab, überkam sie ein inneres Frösteln, obwohl es nicht sehr kalt war.
Hatte sie gehofft, es werde regnen? Dann wäre es auch nicht anders gewesen, denn wenn die Druiden sich bei ihren Ritualen vom Wetter abhängig gemacht hätten, wäre kaum je eines durchgeführt worden.
Eilan wußte, daß sie sich freuen sollte, denn der Himmel blickte in dieser Nacht wohlwollend auf ihre Einweihung. Trotzdem machte das helle Mondlicht sie irgendwie unruhig. Immerhin würde es leichter sein, bei dieser Helligkeit dem Weg zu folgen. Ihre Prüfung bestand nur darin, durch den Wald zurück zum Schrein zu gehen. Das schien nicht besonders schwierig zu sein.
Eilan wollte die Aufgabe so schnell wie möglich hinter sich bringen und eilte unter den mächtigen Bäumen durch den Wald. Der dichte Schatten der Eichen verbarg sie beinahe völlig vor dem klaren und wachsamen Blick des Mondes.
Aber sie war noch nicht einmal so lange gelaufen, wie man braucht, um einen armlangen Faden zu spinnen, als sie erschrocken feststellte, daß sie sich verirrt hatte.
Eilan blieb stehen, atmete bewußt tief und langsam. Dann drehte sie sich um.
Jetzt muß ich zum ersten Mal mein Können unter Beweis stellen. Ich muß ihnen beweisen, daß ich mit meiner inneren Ausrichtung den Weg finde.
Eilan konzentrierte sich auf die nicht nachlassende Kraft der Erde unter ihren Füßen - daran hatte sich auch in dieser Nacht nichts geändert. Die Kräfte von Mond und Sternen tönten über ihr am Himmel. Eilan öffnete alle ihre Sinne und wurde zu einer Brücke zwischen Himmel und Erde. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl überkam sie. So leicht und mühelos konnte sie plötzlich atmen, daß eine Daunenfeder von ihrem Atem nicht bewegt worden wäre, und sie fand in der Stille ihres Bewußtseins den gleichmäßigen Rhythmus
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