Die Wälder von Albion
»zuerst habe ich es nicht verstanden, und dann habe ich mich geschämt. Mutter, ich war keine Jungfrau mehr, als du mich in Eriu zu dir genommen hast. Ein Mann hatte mich mißbraucht… « Ihre Stimme versagte.
Nur der Regen, der auf das Dach trommelte, durchbrach das lange Schweigen. Dann spürte Caillean die zarten Finger wieder auf ihrem Haar.
»Mein Kind, hat dir das auf der Seele gelastet? Ich habe immer gespürt, daß da etwas war, aber ich wollte dich nicht danach fragen. Du warst noch keine Frau, als ich dich in Eriu fand. Wie konntest du dann sündigen?« fragte sie und fuhr dann leise fort: »Hör mir gut zu. Wir reden nicht über diese Dinge, weil es genug Menschen gibt, die es nicht verstehen würden. Wir müssen nach außen den Schein wahren«, sie zögerte, »und… so mußte ich dich auch bestrafen. Aber liebste Caillean, was dir widerfahren ist, bevor du hierher kamst, ist ohne jede Bedeutung. Es ist für die Göttin nicht wichtig und ganz bestimmt auch nicht für mich, solange du in IHREM Heiligtum bist und IHR treu dienst.«
Noch immer weinend richtete sich Caillean auf und schlang die Arme um Lhiannon. Jetzt wußte sie, daß ihre Vorstellungen von Liebe nicht richtig gewesen waren. Trotz der gelegentlichen Kritik war das, was sie für Lhiannon empfand, bestimmt ebenso stark und hingebungsvoll wie die Liebe zu einem Mann hätte sein können, auch wenn ihre Beziehung zu dieser Frau anders war. Und sie liebte Eilan, deren Verständnis ihr geholfen hatte, sich den schrecklichen Erinnerungen ihrer Kindheit zu stellen.
Ihre Liebe zu diesen beiden Frauen stand wenigstens nicht in einem Konflikt mit ihrem Gelübde als Priesterin, und das machte sie glücklich.
Es gab Tage während Cailleans Abwesenheit, an denen die Regentropfen, die vom Dach des Hauses fielen, Eilans blutendes Herz zu treffen schienen. Gaius war gegangen, und sie würde ihn nie wiedersehen. Ihre Gedanken kreisten unaufhörlich um die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage, ohne sich daraus befreien zu können.
Als Caillean sie zu sich rief, empfand sie die Rückkehr der Priesterin wie eine Erlösung.
»Du bist wieder da!« rief sie und schob den Vorhang an Cailleans Tür beiseite. »Niemand hat mir etwas gesagt! Wie lange bist du schon wieder hier?«
»Erst einen Tag«, erwiderte Caillean. »Ich war bei Lhiannon.« Eilan umarmte sie glücklich. Dann trat sie zurück und betrachtete Caillean. »Schlecht siehst du nicht aus.«
Caillean war von Wind und Wetter gebräunt und wirkte ausgeruht und gesund. Sogar die Fältchen, die manchmal den blauen Halbmond zwischen den Augenbrauen durchzogen, waren verschwunden.
»Hat Lhiannon dir verziehen?«
Caillean lächelte. »Es ist alles vergessen. Deshalb, mein Kind, habe ich dich rufen lassen. Du bist jetzt schon lange bei uns und hast große Fortschritte in deinen Übungen und deinem Wissen gemacht. Der Zeitpunkt ist gekommen, an dem du dich entscheiden sollst, ob du wirklich Priesterin werden und deine Gelübde ablegen willst.«
»Mir kommt es nicht sehr lange vor… Andererseits habe ich den Eindruck, schon eine Ewigkeit hier zu sein«, erwiderte Eilan.
Sie konnte sich kaum vorstellen, daß Mairis Töchterchen schon längst kein Säugling mehr war und der kleine Vram sich vermutlich zu einem großen Jungen entwickelt hatte. Aber das Leben von damals war vergessen; und wenn sie von Gaius träumte, dann nur, wie er sie in den Armen hielt und ihr zärtlich etwas ins Ohr flüsterte. Ein Leben mit ihm in der Welt der Römer konnte sie sich nicht vorstellen.
»Wird Dieda ebenfalls die Gelübde ablegen?«
Alle wußten um Diedas Bitterkeit. Cynric folgte unbeirrt seinem Weg, und nun war er sogar geächtet. Wie lange würde es dauern, bis er es wagen konnte, wieder zurückzukehren? Cynric bereitete seine Rache vor und wurde mit aller Entschlossenheit ein Kämpfer, den der Feind einmal fürchten sollte.
Und Gaius ist ein römischer Offizier und der Welt seines Vaters zur Treue verpflichtet.
»Das ist eine Frage, die nur die Göttin und Dieda beantworten können«, erwiderte Caillean ernst. »Wir reden jetzt von dir. Ist es noch immer dein Wunsch, bei uns zu dienen, mein Kind?«
Dieda wird die Gelübde ablegen und ich auch. Was für eine Wahl bleibt uns, nachdem wir beide den Mann nicht haben können, den wir lieben?
»Ja, ich habe noch den Wunsch. Das heißt… « sie zögerte, »wenn mich die Göttin noch haben möchte, denn meine erste Liebe habe ich einem Mann geschenkt.«
»Was geschehen
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